Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
gegeben. Ohne deiner Mutter etwas zu verraten. Und du selbst bist in einem deiner Schulkleider hingegangen. Es hat dir nichts ausgemacht, dass die anderen Mädchen mit dem Finger auf dich gezeigt und getuschelt haben. Du hast es für mich in Kauf genommen. Aber du warst auch immer schon die Schönere von uns beiden. Ich glaube, die anderen Mädchen waren neidisch, weil sie sich so rausgeputzt hatten und immer noch nicht hübsch genug waren, um es mit dir aufnehmen zu können. Kate, ich wusste damals noch nicht, wie großartig es war, dich als Freundin zu haben. Ich kannte dich mein Leben lang, es war normal, dass es dich gab. Erst als du weg warst, verstand ich, was Freundschaft wirklich bedeutete. Du hast so viel getan, nur damit es mir gut ging … Später, als wir etwas älter waren, dachte ich immer darüber nach, wie ich mich bei dir bedanken könnte. Wir hatten kein Geld, also konnte ich dir nie ein Geschenk kaufen. Ich verschob es immer wieder auf später und träumte davon, dir von meinem ersten eigenen Geld etwas zu kaufen. Weißt du, was ich dir kaufen wollte? Ein neues Kleid natürlich. Und eine wunderschöne gebundene Gesamtausgabe von Jane Austen. Ich wusste ja nicht, wie viel das alles kosten würde. Deshalb dauerte es so lange, bis ich das Geld zusammengespart hatte. Mit zehn fing ich an, von meinem Taschengeld etwas zu sparen, was natürlich lange nicht reichte. Einmal spürte einer meiner Brüder meine Ersparnisse auf. Du erinnerst dich an Jeff? Er beklaute uns dauernd, weil er nie Arbeit hatte und zu viel trank. (Es war natürlich nicht viel, aber für mich erschienen damals zwei Pfund wie ein kleiner Schatz. Heute ist Jeff übrigens verheiratet und trinkt keinen Tropfen mehr. Aber mit dem Arbeiten tut er sich weiterhin schwer.)
Na, und dann warst du ja irgendwann weg.
Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich wirklich eines Tages die Jane-Austen-Gesamtausgabe gekauft habe? Da hatten wir uns schon acht Jahre lang aus den Augen verloren. Ich wollte sie dir die ganze Zeit schon geben, aber ich konnte nicht.
4.
»Der Amerikaner ist nicht gekommen«, rief mir Mary im Vorbeigehen zu, während sie leere Gläser einsammelte. E s war halb acht, und das Pub war zum Bersten voll. »Hier sind zwei Wanderer aus Frankreich oder Spanien oder so, die brauchen ein Zimmer. Zeigst du’s ihnen?«
Ich musste nicht fragen, wer die neuen Gäste waren. Ich erkannte sie an ihren fabrikneuen Wanderoutfits und ihren schmerzverzerrten Gesichtern. Wäre Sam da gewesen, er hätte mit mir gewettet, dass sich die beiden in ihren kaum getragenen Schuhen Blasen gelaufen hatten. Ich zeigte ihnen das Zimmer, erledigte die Formalitäten und ging wieder zurück ins Pub, um Mary hinter der Bar zu helfen.
»Wir haben so ein verdammtes Glück«, raunte sie mir zu. »So ein verdammtes Glück, dass wir nicht schließen müssen.«
»Das sagst du jeden Freitag.«
»Wirklich? Na, es ist auch jeden Freitag so wahr wie am Freitag zuvor.«
»Aber warum sagst du es immer freitags?«
Mary zapfte ein Guinness, und ich dachte schon, sie hätte mich entweder nicht gehört oder wollte nicht antworten, weil sie nichts erwiderte. Aber dann sagte sie: »Freitags sind die Leute anders, weil die Woche vorbei ist. Früher … Jetzt sage ich schon ›früher‹, wie sich das anhört! Also, vor ein paar Jahren, vor der Krise, kamen sie rein und wollten eine Woche Arbeit hinter sich lassen. Sie haben getrunken, um das Wochenende zu feiern. Heute kommen sie rein, um eine Woche ohne Arbeit zu vergessen, und sie trinken, um auf die neue Woche anzustoßen, die vielleicht Arbeit bringt. Oder eine gute Idee, wie man sich Arbeit beschaffen kann.«
»Sich selbstständig machen, meinst du?«
»Genau. Die guten Jahre sind vorbei. Sie kommen nicht mehr wieder. Wir haben keine Regierung, sondern eine Insolvenzverwaltung. Von denen da oben brauchen wir nichts mehr zu erwarten. Außer ein paar blöden Vorschr iften aus Brüssel. Und wir sollen uns dann auch noch dran halten. Aber ich sage dir: Man muss selbst schauen, wie man zurechtkommt. So wie Sam das schon vor Jahren gemacht hat. Guter Junge, übrigens. Magst du ihn?«
Ich schnappte nach Luft. »Ist es nicht ein bisschen fr üh, mich zu verkuppeln?«
Mary zuckte mit den Schultern. »Wenn du mich fragst: nein.« Sie zapfte noch ein Guinness und drehte mir den Rücken zu. Ich konnte nichts erwidern, zu viele Gäste warteten darauf, bedient zu werden. Also überspielte ich meinen Unmut über ihre
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