Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Jedenfalls nicht allein. Manchmal denke ich, ich habe sie nie richtig gekannt.«
»Weil sie so früh gestorben ist?« Eine Decke raschelte im Hintergrund. Offenbar legte sie sich gerade ins Bett.
»Vielleicht. Und dein Vater erzählt immer nur dieselben netten Geschichten von ›Damals, als wir noch Kinder waren‹.«
»Kate, Liebes, kann es sein, dass du einfach unglücklich sein willst? Geh schlafen. Alles ist in Ordnung. Es geht dir schon so viel besser. Das weißt du auch. Okay? Genieß es, du musst kein schlechtes Gewissen haben.«
»Ich hab kein …«, begann ich. Aber ich wollte mich nicht vom Thema abbringen lassen. »Meinst du nicht, ihr habt mich lange genug in Watte gepackt? Darf ich nur noch über das Wetter reden, und auch das bitte nur, wenn die Sonne scheint?«
Sophie stöhnte. »Ich weiß nicht, was du hast. Meine Mutter hat was Dummes gesagt. Sie hat garantiert keine Hintergedanken dabei gehabt. Du weißt doch, wie sie ist. Und subtile Anspielungen passen wirklich nicht zu ihr. Wenn sie etwas über deine Mutter hätte sagen wollen, dann hätte sie das getan.«
»Vielleicht.«
»Vielleicht? Natürlich!«
»Hm.«
»Denk nicht so viel an die Toten. Sonst vergisst du noch, dass du selbst ein Leben hast. Gute Nacht.«
Das Gespräch mit Sophie hatte mich nicht wirklich beruhigen können. Ich fand immer noch keinen Schlaf. Ich zog mich wieder an und ging nach draußen. Die kühle Nachtluft, hoffte ich, würde mich beruhigen und ein Spaziergang müde machen. Ich ging so leise wie möglich die Treppe hinunter, weil ich niemanden wecken wollte, schon gar nicht unseren Gast, der im Wohnzimmer auf der Couch schlief, und schlich mich aus der Haustür, die ich mit einem sanften Klicken hinter mir ins Schloss zog. Das Wohnhaus lag direkt neben dem Pub. Ralph hatte auf beiden Ebenen die Wände durchbrechen und Verbindungstüren einbauen lassen, damit man nicht immer auf die Straße musste, wenn man von einem Gebäude ins andere wollte. Vor zwei Jahren hatte er die beiden Häuser leuchtend rot gestrichen. Seitdem jammerte er über diese Entscheidung und ließ seine Gäste alle paar Wochen darüber abstimmen, ob er neu streichen sollte.
Ich überquerte die leere Straße und warf einen Blick auf den dunklen Parkplatz, auf dem Ralphs Wagen und die Fahrzeuge der Gäste standen. Neben einem Auto saß jemand regungslos auf dem Boden. Hoffentlich kein betrunkener Gast, der den Nachhauseweg nicht mehr gefunden hatte und jetzt seinen Rausch ausschlief, dachte ich und ging über den Parkplatz, um nachzusehen.
»Hallo«, sagte ich. »Alles okay?«
Der Mann reagierte sofort und drehte sich zu mir um. »Hi.« Es war der Amerikaner. »Ich kann nicht schlafen. Jetlag. Und du?«
»Ich kann auch nicht schlafen. Ganz ohne Jetlag. Ich wollte eine Runde spazieren gehen.« Ich nickte ihm freundlich zu. »Also dann, gute Nacht.«
Er stand auf und kam auf mich zu. »Kann ich mitkommen? Ich bin so aufgedreht, ich muss irgendwas tun.« Offenbar bemerkte er trotz der Dunkelheit meinen irritierten Blick, denn er fügte schnell hinzu: »Oh, wie dämlich. Klar. Fremder Mann will mitten in der Nacht mit hübscher junger Frau spazieren gehen.« Er hob die Hände, als wollte er sich ergeben. »Sorry. Ich geh einfach wieder rein und schaue fern oder lese irgendwas. Gute Nacht.«
Bevor ich etwas sagen konnte, überquerte er schon die Straße und ging ins Haus. Ich war erleichtert, denn ich wollte wirklich allein sein und hätte nicht gewusst, wie ich ihn abwimmeln sollte, ohne unhöflich zu sein. Ich ging ein Stück am Wasser entlang und stieg dann den Haven Hill hinauf. Als Kind schon hatte ich den Namen geliebt: Haven bedeutete Hafen, aber auch Zufluchtsort oder Oase. Es klang nach einem Ort, an dem man sich aufgehoben fühlte. Der Teil von Kinsale, in dem auch das Jacob’s Ladder war, hieß Summercove, Sommerbucht, vielleicht die schönste Gegend des Orts, in jedem Fall die beliebteste allein durch die malerische Lage an der Bucht. Haven Hill war der Hügel, der sich hinter dem Jacob’s Ladder erhob. Die großen, neu gebauten Häuser dort waren sehr begehrt.
In so einem Haus hätte ich gerne mit Brian gelebt, aber es wäre unvernünftig gewesen. Viel zu weit weg von seiner Agentur und meinem Arbeitsplatz. Mittlerweile bereute ich, das Haus meiner Großmutter damals verkauft zu haben. Hätte ich es behalten, wäre ich jetzt vielleicht dort eingezogen. Damals musste ich die Studiengebühren und meinen Lebensunterhalt finanzieren.
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