Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Rest allein.« Sie lächelte und wedelte mit der Hand vor mir herum, als wollte sie mich wie eine Fliege verscheuchen. »Na los. Bevor sich der Amerikaner noch dein Zimmer schnappt.«
5.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Das Gespräch über meine Mutter hatte mich seltsam aufgewühlt. Ich wälzte mich unruhig von einer Seite auf die andere, zählte Sterne, sagte im Geist Gedichte auf, nichts wollte helfen. Immer wenn ich an Marys Gemurmel dachte, war mir, als hätte sie so etwas gesagt wie: »Wir werden schon dafür sorgen, dass du nie wie deine Mutter wirst.« Natürlich war das nur Einbildung. Aber dann dachte ich daran, dass Mary nie wirklich über meine Mutter gesprochen hatte. Sie gab immer nur ausweichende Antworten. Oder bildete ich mir auch das ein?
Du bist überreizt, Kate, sagte ich mir. Du hast viel zu dünne Nerven bekommen und siehst Gespenster.
Gegen halb drei schrieb ich eine SMS an Sophie, dass ich nicht schlafen konnte. Sie war die einzige Person, die ich kannte, die so gut wie nie vor vier Uhr schlafen ging. Sophie begann ihren Arbeitstag selten vor Mittag, dafür machte sie oft auch erst gegen Mitternacht Feierabend. Ich öffnete mein Fenster, das zur Straße hinausging, die vollkommen ruhig dalag. Auf der anderen Straßenseite war der Parkplatz, der zum Jacob’s Ladder gehörte. Er grenzte direkt ans Wasser der Bucht. Ich atmete tief die salzige Luft ein und lauschte auf das leise Plätschern der kleinen Wellen.
Das Jacob’s Ladder lag im äußersten Osten von Kinsale. Wenn man ein Stück weiter am Wasser entlangging, kam man zu Charles Fort, einer Festung aus dem 17. Jahrhundert. Auf der Landzunge gegenüber lag James Fort. Die beiden Festungen hatten einst die schmale Öffnung zum Hafen von Kinsale bewacht.
Das Klingeln meines Handys ließ mich zusammenzucken. Ich hatte die SMS an Sophie schon fast vergessen.
»Der Vollmond?«, fragte sie anstelle einer Begrüßung. Wir konnten uns tagelang nicht gesehen haben, aber wann immer wir miteinander sprachen, war es, als würden wir ein Gespräch wieder aufnehmen, das nur ein paar Sekunden unterbrochen worden war.
»Keine Ahnung. Alles Mögliche. Und bei dir?«
»Wie immer. Ich bete, dass im Sommer genügend Touristen kommen, und ich bete noch mehr, dass das Programm unserer Truppe auf dem Edinburgh Festival im August gut ankommt. Die laufende Produktion hat einen Durchhänger, die Kritiken sind mies, ich bin froh, dass es ein Gastprogramm ist, und dann ist uns noch die Kostümbildnerin abgesprungen, und der Bühnenbildner hat seinen Entwurf an eine andere Produktion verkauft. Und der Hauptdarsteller hat eine Fernsehrolle und will deshalb mehr Geld.«
»Ah. Der übliche Wahnsinn.«
»Du sagst es. Ich liebe es.«
»Ich versuche, mir dich bei einem normalen Job vorzustellen. Mit geregelten Arbeitszeiten und anständigem Einkommen.«
»Wenn ich versuche, mir das vorzustellen, schlafe ich sofort ein. Klappt bei dir nicht, was?«
Ich lachte. »Nicht wirklich.«
»Und jetzt sag mir, warum du nicht schlafen kannst. Was purzelt dir durch den Kopf?«
Sophie war nur ein Jahr älter als ich und damit auch mehr große Schwester als Cousine. Ihren konsequenten Lebensstil hatte ich immer sehr bewundert. Mir hätte der Mut gefehlt, aber sie hatte von Anfang an nur getan, was sie tun wollte: für das Theater gelebt. Ich hatte auf Sicherheit gesetzt. Wir hatten oft darüber gesprochen, wie unterschiedlich unsere Lebenswege doch waren und wie sie sich letztlich doch für jede von uns richtig anfühlten. Was mich jetzt jedoch plagte, war selten ein Thema zwischen uns gewesen.
»Deine Mutter hat so etwas Komisches zu mir gesagt …«
»Nur ein Grund, warum ich mit sechzehn ausgezogen bin.«
Ich ignorierte ihren Kommentar. »Sie hat gesagt, ich müsste aufpassen, damit ich nicht wunderlich werde. Natürlich sollte das ein Scherz sein.«
»Sie hat noch nie besonders gute Scherze gemacht. Du weißt, ich liebe sie, aber … wir passen einfach nicht zusammen, sie und ich.« Sophie seufzte. »Und jetzt glaubst du, du bist wunderlich? Was ist das überhaupt für ein Wort – wunderlich ?«
»Ich musste an meine Mutter denken. Wenn ich sie mit einem Wort beschreiben müsste … dann wäre es das.«
Sophie schwieg.
»Warum sagst du nichts?«
»Weil ich gerade Schokolade gegessen habe. Du hast Angst, dass du wie deine Mutter wirst? Das haben wir doch alle.« Sie klang, als hätte sie den Mund immer noch voll.
»Nein, Sophie, das ist es nicht.
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