Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
überall gleich. Sie lieben, sie streiten, sie sind eifersüchtig, sie sind einsam … Warum soll das in der Stadt anders sein? Oder im Norden? Oder von mir aus in Australien?«
»Ich wollte eigentlich nur sagen, dass du nicht alt bist«, protestierte ich.
Sie hob amüsiert die Augenbrauen. »Lass mal gut sein, Katie. Jedenfalls: Brian ist tot. Der kommt nicht mehr zurück. Das ist schlimm und tut weh, aber das ist so. Dein Leben geht weiter. Wenn du dich mit einem anderen Mann triffst, hat das mit den fünfzehn Jahren, die ihr zusammen wart, überhaupt nichts zu tun. Die kann und wird dir keiner mehr wegnehmen. Okay?«
Ich sagte, um Fassung bemüht: »Allein der Gedanke daran kommt mir vor, als würde ich Brians Andenken mit Füßen treten. Außerdem ist alles noch so frisch.«
»Es ist ein halbes Jahr her. Vielleicht wird es dir noch in drei Jahren passieren, dass du an ihn denkst und weinst. Oder in zehn. Aber wenn du dann immer noch einsam und verbittert im Jugendzimmer meiner Tochter rumsitzt, hat da keiner was davon. Am wenigsten Brian.«
Ich sah sie prüfend an. »Du willst, dass ich ausziehe.«
»Quatsch.«
»Was denn dann?«
»Katie, ich will nur, dass du in deinem Kopf Platz machst für die Möglichkeit, eines Tages einen anderen Mann kennenzulernen und dich in ihn zu verlieben. Und du musst begreifen, dass das kein Vergehen ist. Mehr wollte ich dir damit nicht sagen. Vielleicht nur noch eins: Je früher du damit anfängst, desto besser. Sonst wirst du noch wunderlich.«
»Ich werde was?«, rief ich wütend. Ich starrte Mary an, die mir gelassen ins Gesicht sah. Sie lächelte. Und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Wie eine Welle stiegen sie in mir auf. Mary legte den Arm um meine Schultern und schob mich nach hinten in die Küche. Sie wies meinen Onkel an, die Theke für ein paar Minuten zu übernehmen. Dann umarmte sie mich und strich mit einer Hand über mein Haar.
»Entschuldige. Ich war wohl wie immer ein bisschen zu direkt.«
»Schon okay«, sagte ich.
»Alles wird gut, das verspreche ich dir«, fügte sie entschieden hinzu, fast schon grimmig. »Alles wird gut.«
Als wir um Viertel nach zwölf zur letzten Runde läuteten, kam einer der Musiker an die Bar. Er war keiner von denen, die regelmäßig bei uns spielten. Als ich ihn nun von Nahem sah, war ich verwirrt, weil ich dachte, ich müsste ihn irgendwoher kennen. Er war ungefähr in meinem Alter, vielleicht ein paar Jahre älter, hatte dunkelblondes verwuscheltes Haar und einen Dreitagebart, dunkelgraue Augen und ein Lächeln, aus dem ich schloss, dass er sehr genau wusste, wie gut er aussah.
Ich lächelte geschäftsmäßig zurück.
»Eine Runde für euch?«, fragte ich und zeigte auf die anderen Musiker, die gerade ihre Instrumente verstauten.
»Eigentlich bin ich hier, um meinen Schlüssel abzuholen.«
Ich verstand nicht, was er wollte, und dachte schon, ich hätte mich verhört.
»Für mein Zimmer«, fügte er hinzu, als ich noch immer nichts sagte und ihn wohl nur dämlich anstarrte.
»Dein Zimmer?«, fragte ich, und da dämmerte es mir langsam. Sein amerikanischer Akzent … Er war der Gast, dessen Zimmer wir vergeben hatten, weil er nicht rechtzeitig aufgetaucht war. »Matthew …?«
»Callaghan. Richtig. Nenn mich Matt.« Er strahlte, streckte die Hand aus, damit ich sie schütteln konnte. Ich ließ meine Finger schlaff in seine gleiten und überlegte angestrengt. Ihn jetzt wegzuschicken wäre nicht nur wahnsinnig unhöflich, sondern würde bedeuten, dass er am Strand schlafen müsste. Um diese Zeit fand er nirgendwo mehr eine Unterkunft. Aber wir waren vollständig ausgebucht. »Einen Moment bitte, ich muss nur kurz …« Ich deutete vage auf Mary, die eben in der Küche verschwand, und lief ihr hinterher.
»Der Amerikaner ist doch da.«
»Bisschen spät«, sagte sie trocken.
»Er war die ganze Zeit hier. Er hat Musik gemacht. Er hat uns nur nicht Bescheid gegeben. Was machen wir denn jetzt? Wir können ihn unmöglich wegschicken.«
»Oh. So was ist noch nie passiert«, murmelte Ralph. »Aber irgendwann muss es ja mal so weit sein.«
Mary hob nur wortlos die Augenbrauen und ging wieder in den Schankraum, um leere Gläser einzusammeln.
»Kümmert sie das nicht weiter?«, fragte ich erstaunt.
»Zimmerbelegung ist meine Aufgabe«, erklärte Ralph. »Falls du es noch nicht bemerkt hast, unsere Ehe funktioniert deshalb so gut, weil Mary irgendwann mal ganz klar aufgeteilt hat, wer wofür zuständig ist. Mit der
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