Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
wichtiger als meine Musik. Aber zurück zu meinem Vater. Und den Geschichten über meinen Urgroßvater. James Callaghan, geboren 1878 in Cork, war Sohn eines Lehrers und einer reichen Frau, die eine für damalige Verhältnisse beträchtliche Mitgift erhalten und ihr Vermögen zudem durch eine nicht unerhebliche Erbschaft angereichert hatte. Er ging nach Dublin, um Medizin zu studieren, und wurde Augenarzt. Eines Tages lernte er Sir Hugh Lane kennen, einen Kunstsammler und Mäzen. Lane eröffnete 1908 die Municipal Gallery of Modern Art in Dublin, und mein Urgroßvater, sehr an Kunst interessiert und begeistert von dem damals neuen Konzept, sie öffentlich auszustellen, traf dort auf ihn.«
»Und?«, drängte ich, als er schwieg.
»Und verliebte sich in ihn.«
»Das war sicher schwierig.« Ich dachte an Oscar Wilde, der wenige Jahre zuvor zu Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt worden war, weil er seine Homosexualität gelebt hatte.
»Oh, es ist meine Interpretation. Natürlich wurde nie darüber geredet. Es hieß immer nur, James und Hugh seien gute Freunde gewesen, James habe ihn verehrt und so weiter. Einen Spätzünder nannten sie James, weil er erst mit Ende dreißig heiratete und vorher nie Interesse an einer Frau gezeigt hatte. Nach dem Untergang der Lusitania im Mai 1915 verbrachte er Wochen hier in Kinsale, weil er hoffte, Hugh, der an Bord gewesen war, würde doch noch lebend auftauchen. Oder wenigstens seine Leiche, damit er ihn beerdigen konnte. Er brach irgendwann völlig zusammen, kam in eine Klinik – die Nerven, wie man es damals nannte – und heiratete direkt danach sehr überraschend eine entfernte Cousine, die dann bereits nach vier Monaten im Januar 1916 einen gesunden Sohn zur Welt brachte, der ihr einziges Kind bleiben sollte. – Na, wie hört sich das an?«
Ich hob die Schultern. »Er war schwul, die Cousine von irgendwem schwanger, der sie nicht heiraten konnte oder wollte, und um die Reputation der beiden zu retten, wurden sie verheiratet?«
»Denke ich auch.«
»Zeiten waren das«, sagte ich.
»Macht ihr das nicht mehr so in Irland? Ich höre immer nur, wie schrecklich katholisch ihr seid.«
»Ich bin Protestantin.«
»Und noch nicht auf dem Scheiterhaufen?«
»Kommt bestimmt noch.« Vielleicht war es die Müdigkeit, die mich langsam befiel, vielleicht der Mondschein und das leise Plätschern des Wassers, aber ich musste ausg iebig gähnen – und dann, weil es mir etwas peinlich war, lachte ich los. Er stimmte mit ein, und als wir uns wieder beruhigt hatten, sagte er: »Reicht es dir für heut e?«
»Ich will doch noch wissen, wie es weitergeht.«
»Wirklich? Du bist doch müde.«
»Wirklich«, beruhigte ich ihn.
»Gut. James wusste von Hugh, dass dieser einige sehr wertvolle Gemälde aus Amerika mit nach Europa bringen wollte. In einer wasserdichten Kiste. Bilder von Monet, Rubens, Tizian, Rembrandt. Die nie gefunden wurden.«
»Und dein Vater suchte nach dieser Kiste?«
»Er schwor, sie im Schlick gesehen zu haben. Die irische Regierung missbilligte aber seine Tauchexpeditionen, die übrigens fast sein gesamtes Vermögen verschlangen, und schob ihm einen Riegel vor. Ab den Neunzigerjahren musste jeder Tauchgang zur Lusitania genehmigt werden. Daran hielt er sich anfangs noch, ab er dann war es ihm irgendwann zu lästig. Da er immer weniger Geld zur Verfügung hatte, konnte er nicht aufhören zu arbeiten. Er kam einmal im Jahr hierher, um zu tauchen, dann kehrte er zurück und arbeitete wie ein Wilder. Nach seiner Pensionierung wollte er ganz herziehen, sollte er den Schatz bis dahin nicht gefunden haben. Zurück in die Heimat, sagte er. Seine Eltern waren ausgewandert, als er ein kleiner Junge war, meine Mutter war noch ein Baby, als sie in die Staaten kam. Sie hatte keine Erinnerung an Irland, kannte nur die Erzählungen ihrer Eltern und wollte niemals einen Fuß auf irischen Boden setzen. Als meine Mutter also merkte, dass er es ernst meinte, ließ sie sich scheiden. Das war vor ungefähr zehn Jahren. Sie hoffte allerdings noch länger, er würde endlich Vernunft annehmen, aber im Gegenteil, er schien nicht einmal zu merken, dass Mutter nicht mehr da war. Bald darauf heiratete sie wieder und zog nach Kanada. Mein Vater machte weiter: arbeitete viel, sparte Geld für seine jährliche Expedition, und dann, vor zwei Jahren, tauchte er einfach nicht mehr auf.«
»Das tut mir so leid«, sagte ich.
»Meine Mutter kam nicht einmal zur Trauerfeier, und ich ging ebenfalls
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