Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
versucht, den Schatz der Lusitania zu heben? Ich dachte, da gibt es außer Wrackteilen nichts mehr zu holen?«
Matt schüttelte den Kopf. »Er war wirklich besessen, anders kann man es nicht nennen. Willst du die ganze Geschichte hören?«
Ein Schiffswrack auf dem Meeresgrund, ein versunkener Schatz, eine Tragödie, die den Ersten Weltkrieg maßgeblich beeinflusst und zwei Jahre später zum Eintritt der USA in den Krieg geführt hatte? Natürlich wollte ich die ganze Geschichte hören!
»Gerne«, sagte ich und stützte die Arme hinter mir ab, um mich etwas zurückzulehnen.
»Gut. Es fing vor ziemlich genau dreißig Jahren an. 1982 startete die Archimedes eine Forschungsexpedition mit Feuerwerkern, Historikern und Tauchern. Ein Journalist von der BBC begleitete sie. Mein Vater befand sich zu dem Zeitpunkt gerade wegen eines Vortrags in London – er war Informatikprofessor. Er sah die Dokumentation im Fernsehen. Eine amerikanische Offshore-Ölfirma hatte ein paar Millionen investiert, um den Kapitänsschatz zu finden. Ohne Erfolg. Man gelangte zwar in den Tresorraum, aber der Safe war nicht zu sehen. Wahrscheinlich war er auf dem Meeresgrund im Schlick versackt. Sie hatten sich Diamanten und Gold erhofft, dessen Wert fünfmal so hoch war wie ihre Investitionen. Aber – sie gingen leer aus. Allerdings fand man heraus, dass der vordere Frachtraum schon von jemand anderem geleert w orden war. Viele offene Fragen, viele Rätsel, kein Schatz .«
»Und deshalb suchte dein Vater nach den Diamanten?«
»Oh, die haben ihn nie interessiert.«
Ich stutzte. »Was hat er dann gesucht?«
»Seinen persönlichen Schatz.« Er legte seine Hand leicht auf meinen Arm und sah mich, soweit ich das im Mondlicht beurteilen konnte, forschend an. »Es ist eine verrückte Geschichte.«
»Umso besser.«
»Stehst du auf verrückte Geschichten?«
»Unbedingt.« Ich sah ihn nun ebenso forschend an. »Und ich kann gerade gut etwas Ablenkung gebrauchen. Verrückte Geschichten sind eine hervorragende Ablenkung.«
»Was ist los?«, fragte er ernst.
»Ich habe … Na ja. Ich habe wirres Zeug von meinem Mann geträumt.«
»Oh. Wo ist denn dein Mann? Ich hab ihn hier noch gar nicht …«
»Er ist tot«, unterbrach ich ihn schnell. »Seit über einem halben Jahr. Seine Asche …« Ich machte eine ausladende Handbewegung über das Wasser und deutete in Richtung des Meeres, denn weiter kam ich nicht. Meine Stimme zitterte, und ich hielt mit Mühe die Tränen zurück.
Wir schwiegen eine Weile, und als ich mir sicher sein konnte, dass ich mich gefangen hatte, sagte ich: »Erzähl mir mehr von deinem Vater.«
Er nickte und deutete mit dem Kinn ebenfalls in Richtung Meer. »Er ist auch dort. Seine Leiche wurde nie gefunden.«
»Wie ist es jetzt für dich, hier zu sein?«
»Anders.«
»Anders als erwartet?«
Er nickte. »Ich dachte, es wäre, als würde ich zum ersten Mal an seinem Grab stehen. Aber das Gefühl ist ganz anders. Eher, als ob er … Nein. Das kann ich nicht sagen.«
»Was?«
»Du wirst mich auslachen.«
»Vielleicht.«
»Wenigstens bist du ehrlich. Also gut. Wenn ich auf das Meer schaue, dann kommt es mir vor, als würde er noch irgendwo da draußen herumspuken.«
»Oh.«
Er lachte. »Du denkst, ich bin total wahnsinnig, was?«
»Geschichten von Wassergeistern haben in Irland eine lange Tradition«, sagte ich und versuchte, todernst zu klingen.
Matt sah mich irritiert an. Dann merkte er, dass meine Mundwinkel zuckten, und wir mussten beide lachen.
»Tut gut, so mit jemandem darüber zu reden«, sagte er dann.
»Erzähl weiter.«
»Mein Vater war wie besessen«, nahm er seine Geschichte wieder auf. »Er sah damals zufällig diese Doku mentation im britischen Fernsehen, und da klingelte etw as in seinem Kopf. Ein enger Freund seines Großvaters – meines Urgroßvaters – war bei dem Schiffsunglück ums Leben gekommen, die Leiche nie geborgen worden. Offenbar hatte ihm sein Großvater häufig davon erzählt. Meine Eltern hielten mir gegenüber damit hinter dem Berg, ich hörte erst als Teenager davon und interessierte mich kein bisschen dafür. Hätten sie mir bei Vaters erster Tauchexpedition davon erzählt, als ich zehn oder elf war, wäre es wohl etwas anderes gewesen. Jungs in dem Alter interessieren sich noch für Abenteuer und versunkene Schätze. Ich muss fünfzehn gewesen sein, als ich davon erfuhr, da hat man andere Interessen.«
»Mädchen«, sagte ich lächelnd.
»Musik«, entgegnete er. »Nichts war
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