Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
nicht hin. Heute schäme ich mich dafür, aber damals brachte ich es nicht über mich. Irgendwie hatte ich noch so eine große Wut auf ihn, weil er seine Familie so vernachlässigt hatte. Jemand, der beruflich schon so viel unterwegs gewesen war, suchte sich dann auch noch ein … Hobby, das ihn weit von zu Hause wegbrachte. Die vielen Geburtstagsfeiern, an denen er nicht bei uns war, die Momente, in denen wir ihn dringend gebraucht hätten und er nicht einmal versuchte anzurufen. Meine Mutter und ich nahmen ihm all das so übel … Dumm von uns, oder? Meine Schwester flog nach Irland, um weiter nach ihm suchen zu lassen und schließlich alle Formalitäten zu erledigen. Sie ist heute noch sauer auf uns, zu Recht.« Er lächelte traurig. »Tja, und jetzt sitze ich hier und glaube, ich könnte irgendwas wiedergutmachen. Oder ihn besser verstehen. Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was ihn so in Bann gezogen hat, dass er immer wieder hierherkam …«
»Ein geheimnisvoller Schatz. Das kennt man doch. Goldrausch, Jagdfieber, alles Namen für dieselbe … Sache.« Fast hätte ich »Krankheit« gesagt.
»Es muss mehr gewesen sein. Er muss nach etwas gesucht haben, das mit seinem Großvater, mit James Callaghan, zu tun hatte. Mit ihm und Sir Hugh Lane.«
»Was soll das gewesen sein? In einem alten Schiffsw rack, das seit Jahrzehnten auf dem Meeresgrund verm odert? Und schon mehrfach geplündert worden ist?«
Matt zuckte mit den Schultern. »Ich sag ja. Eine fixe Idee. Da wird man mit Logik nicht sehr weit kommen.«
Ich hatte einen Einfall. »Vielleicht wollte er wissen, wer sein echter Großvater war? Obwohl – vergiss es. Dazu hätte er nicht tauchen gehen müssen. Nein.«
Matt sah mich aufmerksam an. »Mein Vater glaubte offenbar, Sir Hugh könnte sein Großvater sein.«
»Oh, dann kommt es darauf an, wann der Gute nach Amerika aufgebrochen ist, um die Bilder zu holen! Wie kam er denn zu der Annahme?«
»Mein Vater hat ziemlich umfangreiche Aufzeichnungen hinterlassen, eine Mischung aus Fakten und Spekulationen, nicht leicht, da durchzublicken …« Er seufzte. »Als Hugh Lane in New York an Bord der Lusitania ging, sagte er jedenfalls zu Reportern, dass er John Singer Sargent beauftragt hatte, die schönste Frau Englands für ihn zu malen.«
»Und die entfernte Cousine, die James Callaghan heiratete …«
»Meine Urgroßmutter.«
»Sie kam aus England?«
»In der Tat.«
»Dann wärst du ein Urenkel von Sir Hugh Lane«, sagte ich. »Würde dir das gefallen?«
Er hob die Schultern. »Es wäre mir egal. Ich weiß, wer meine Eltern sind, aber die Generationen davor – welchen Unterschied macht es?«
»Wenn es dir egal wäre, wärst du nicht hier.«
»Ich will nur meinen Vater verstehen.«
»Ich glaube, du willst verstehen, wer du bist.«
»Und ein Urgroßvater, dem ich nie begegnen konnte, hätte maßgeblichen Einfluss darauf, wer ich heute bin?«
»Manchen Menschen ist es wichtig, welche Gene sie haben.«
Er schwieg, diesmal sehr lange. Ich fürchtete, ihn beleidigt zu haben. Nach einer Weile stand ich sacht auf und wollte mich wegschleichen, zurück in mein warmes Bett.
»Nein«, hörte ich ihn sagen, noch bevor ich mehr als drei Schritte von ihm weg war, und ich war mir nicht sicher, ob er es zu mir sagte oder zu sich selbst. »Nein, ich glaube, ich will wirklich einfach nur wissen, warum mein Vater uns im Stich gelassen hat.«
Dieser Satz hätte von mir sein können. Ich hatte ihn oft genug als Kind in mein Tagebuch geschrieben.
Die sechs Wochen mit dir in Kinsale waren der schönste Urlaub meiner Kindheit. Selbst die Reisen, die ich später mit Freunden oder meinem Mann unternahm, hatten nichts von dem Zauber, den diese Zeit damals für mich in der Erinnerung behielt. Ein Zauber, den wohl nur die Kindheit haben kann …
Danach wurde alles anders. Du warst nicht mehr da, und ich hatte keine Zuflucht mehr. Ständig war unser Haus überfüllt, weil meine Geschwister den Absprung nicht schafften oder wieder ins Haus zurückkamen, weil sie sich mit ihren Partnern zerstritten hatten, ihnen das Geld für eine eigene Wohnung fehlte oder weil sonst irgendwas war. Janet zog für über ein Jahr mit ihren zwei Kindern ein. Bei euch zu sein war himmlisch gewesen. So ruhig, so viel Platz … Du weißt es vielleicht noch, ich schrieb dir Briefe, und manchmal telefonierten wir. Von dir kamen irgendwann, es war noch nicht ganz ein Jahr seit deinem Wegzug vergangen, keine Briefe mehr zurück. Ich schrieb
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