Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
hatte nicht damit gerechnet, dass es so anstrengend ist, alles an mir vorbeiziehen zu lassen. Fünf zehn Jahre und mehr liegt das alles zurück, und doch re ißen die Wunden gerade wieder auf. Ich bin so verletzlich und dünnhäutig geworden … Und nun erzähle ich dir davon, ich sehe mich durch deine Augen und schäme mich … Dabei bin ich noch längst nicht dort angelangt, wo es uns beiden am meisten wehtun wird.
Meine Therapeutin sagte, du wärst wohl so etwas wie eine Schwester für mich gewesen. Jedenfalls sehr viel mehr als nur eine Freundin. Der Altersunterschied zu meinen richtigen Geschwistern war viel zu groß. Sie spielten nicht mit mir, sie beachteten mich kaum, ich war ihnen nur im Weg. Wenn ich bei deiner Mutter und dir war, war alles ganz anders. Dass du irgendwann fort warst, hat mich schwer getroffen, noch mehr allerdings, dass ich glauben musste, du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben. Du hast mir so gefehlt …
Wahrscheinlich hast du dich gefragt, warum ich mich nicht gleich bei dir meldete, nachdem ich erfahren hatte, dass meine Mutter uns auseinandergebracht hatte.
Es war zu viel Zeit vergangen. Wir hatten uns als Kinder aus den Augen verloren, und nun waren wir auf dem besten Weg, erwachsen zu werden. Vielleicht hatte ich Angst, du würdest mich nun wirklich abweisen – aus vielerlei Gründen. Was, wenn wir uns beide so sehr verändert hatten, dass wir uns nicht mehr verstehen würden? Was, wenn du böse wärst und mir nicht glauben würdest, dass ich dir immer weiter geschrieben habe? Außerdem schämte ich mich. Fett, hässlich, eine Schulversagerin.
Immer wenn ich an dich dachte, überlegte ich, ob ich mich wirklich eines Tages bei dir noch melden sollte. Wenn ich mein Leben im Griff hatte, vielleicht. Und ich hoffte so sehr, in dir dann noch die Freundin zu finden, die ich früher gehabt hatte.
11.
»O nein«, murmelte ich, als wir uns durch den Flur an einem Haufen Menschen vorbeiquetschten, um in die Küche zu kommen. »Ich glaube, ich habe Sam gesehen.«
»Wer ist Sam?«, fragte Emma.
»Händchenhalt-Exfreund«, sagte ich knapp und schob mich an einem sehr dicken Mann vorbei, der den Türrahmen zur Küche fast vollständig ausfüllte, aber nicht merken wollte, dass er im Weg stand.
In der Küche angekommen, grinste mich Emma an und sagte: »Und du willst ihm nicht begegnen, weil …?«
Ich öffnete Sophies Kühlschrank und nahm eine Dose Bier heraus. »Was möchtest du trinken?«, fragte ich Emma.
Sie zeigte auf die Dose. »Hab ich lang nicht mehr.«
Ich nahm eine zweite heraus. Wir öffneten die Dosen und prosteten uns damit zu. Da der dicke Mann immer noch den Zugang blockierte, waren wir allein in der schmalen Küche. Die anderen Leute drängten sich in Sophies kleinem Wohnzimmer und dem Flur.
»Ich sehe Sam so ziemlich jeden Tag, seit ich wieder in Kinsale bin. Er beliefert das Jacob’s Ladder mit Gemüse und solchen Sachen aus ökologischem Landbau.«
»Ein sexy Bauer?«, spöttelte Emma.
»Hey, er ist wirklich okay. Ich mag ihn.«
»Wo ist dann das Problem?«
Ich hob die Schultern. »Er macht sich Hoffnungen. Er ist … Vergiss es. Nicht so wichtig. Ich denke nur gerade, es ist besser, wenn ich ihm aus dem Weg gehe.« Ich sagte nicht mehr, weil ich merkte, dass zu viele Jahre seit der Z eit vergangen waren, in der wir Freundinnen waren. M it Sophie konnte ich über so etwas reden, aber mit Emma war ich noch nicht so weit. Ich wechselte das Thema. »Sag mal, du musst mir endlich ein bisschen mehr von dir erzählen. Ich weiß, dass du eine süße kleine Tochter hast, dass du geschieden bist und dass du mit achtzehn … dass du abnehmen musstest und heute eine beneidenswerte Figur hast. Aber irgendwie fehlen mir da ein paar Jahre.« Ich lächelte sie aufmunternd an.
Sie trank von ihrem Bier und ließ den Blick träge durch die Küche wandern. »Da ist nicht viel Ruhmreiches, das ich berichten könnte.«
»Ach komm schon, ich bin’s doch nur! Du musst dich doch nicht bewerben oder so was.«
»Na ja. Schule, Klinikaufenthalt, Psychologiestudium abgebrochen, Ausbildung zur Krankenschwester, erste Ehe nach einem Jahr gescheitert, nach London gezogen für einen Neuanfang, dort im Krankenhaus gearbeitet, den Chefarzt geheiratet, zweite Ehe gescheitert … Das war’s.«
»Du bist Krankenschwester? Wow. Harter Job«, sagte ich, ehrlich beeindruckt.
»Nicht mein Traumjob, aber das Psychologiestudium habe ich einfach nicht durchgehalten.«
»Du würdest jetzt
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