Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Geschöpfen mehr Unfug durchgehen, als gut für uns war. Meine Mutter rief fast nie an, um zu hören, wie es uns ging. Dass meine Mutter nicht nach Kinsale kam, obwohl es nicht weit war – ungefähr eine Stunde mit dem Bus –, verwunderte mich hingegen nicht. Sie war auch sonst nie vorbeigekommen. Überhaupt sah ich Hannah und Großmutter selten zusammen, abgesehen von Geburtstagen, Weihnachten und anderen Feiertagen, wenn Margaret uns gemeinsam mit Ralph, Mary und Sophie in Cork besuchte. Ich kannte es nicht anders, und wenn ich mal nachfragte, behauptete Mutter, sie sei eben nicht gerne in Kinsale, und Margaret äußerte sich geradezu enthusiastisch über die Möglichkeit, uns in Cork besuchen zu können.
Meine Mutter hatte oft Migräne. Wenn sie eine Attacke bekam, musste ich für zwei, drei Tage bei Emma bleiben, manchmal holten mich auch Ralph und Mary zu sich nach Kinsale. Als ich mit Emma nun bei meiner Großmutter war, hieß es, Mutter hätte eine sehr schwere Migräne, sie wäre sogar ins Krankenhaus gekommen, wo man ihr gut hatte helfen können. Ich kam eine Woche, bevor die Schule anfing, zurück nach Cork und fand meine Mutter bleich und elend im abgedunkelten Schlafzimmer. Sie sagte, sie könne nicht aufstehen, und ich rannte zu Emmas Eltern, weil ich nicht wusste, an wen ich mich sonst wenden sollte. Sie riefen einen Arzt und warteten mit mir im Wohnzimmer darauf, dass er mit seiner Untersuchung fertig wurde.
»Die Migräne ist ungewöhnlich schlimm, ich fürchte, ich muss darauf bestehen, dass sie wieder ins Krankenhaus geht«, sagte er. Emmas Eltern nickten mit einem Seitenblick auf mich.
»Darf ich mitfahren?«, fragte ich, und alle Erwachsenen schüttelten den Kopf.
»Du besuchst sie, wenn es ihr besser geht. Bestimmt geht es ihr ganz schnell besser, aber erst einmal braucht sie absolute Ruhe«, meinte der Arzt. »Sie hat jetzt solche Kopfschmerzen, dass sie sich gar nicht freuen könnte, dich zu sehen.«
Ich nickte traurig. Wir warteten auf den Krankenwagen, und ich sah zu, wie man meine Mutter aus dem Haus trug und wegbrachte.
»Du bleibst die nächsten Tage bei uns«, sagte Emmas Vater. Ich hatte großen Respekt vor ihm, weil er schon so alt war in meinen Augen. Emma war nicht nur das jüngste Kind, sondern auch eine Nachzüglerin. Ihre Eltern hatten sie mit Mitte vierzig bekommen. Sie waren jetzt fast so alt wie meine Großmutter, und ich fand es immer ganz befremdlich, dass Emma so alte Eltern hatte. Und sie fand es komisch, dass meine Mutter ein Jahr jünger war als ihre älteste Schwester.
Am selben Abend rief ich von Emmas Eltern aus bei Margaret an, um ihr alles zu erzählen, und eine Stunde später kam Onkel Ralph vorbei.
»Es ist besser, wenn das Kind bei uns wohnt«, sagte Ralph zu Emmas Eltern. Ich wollte nicht wieder nach Kinsale, ich wollte bei Emma bleiben, und vor allem wollte ich in der Nähe meiner Mutter sein. Was, wenn es ihr morgen besser ging und sie mich sehen wollte?
»Dann fahren wir mit dem Auto ins Krankenhaus, und du kannst sie sehen«, sagte Ralph und tätschelte mir den Kopf, als wäre ich fünf. Ich packte also wieder meinen Koffer.
»Bekomme ich auch Migräne, wenn ich älter werde?«, fragte ich meinen Onkel, als wir auf dem Weg nach Kinsale waren.
»Nein«, sagte Ralph. »Du bist kein Migränetyp.«
»Was ist denn ein Migränetyp?«
Er zögerte. »Ich kann das schlecht erklären. Aber bei deiner Mutter wussten wir schon immer, dass sie später mal … na ja. Irgendwie passte das zu ihr. Und zu dir passt das nicht.«
»Aber ich weiß, dass man manche Krankheiten von seinen Eltern erben kann.«
»Was ihr alles in der Schule lernt«, sagte Ralph.
»Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
»Schlaues, neugieriges Kind.«
»Kann man Migräne von seinen Eltern erben?«
»Ich hab dir doch gerade gesagt, dass du keine bekommst.«
»Was ist, wenn mein Vater auch Migräne hatte? Dann bekomme ich es von beiden Seiten.«
Ich merkte, wie unangenehm es Ralph war, dass ich von meinem Vater sprach. Mutter hatte mir verboten, über ihn zu reden oder nach ihm zu fragen. Margaret bog das Thema ebenfalls immer ab. Ralph hatte es mir nicht verboten, er sagte nur jedes Mal, dass ich meine Mutter fragen sollte. Und natürlich sprach ich mit Emma darüber, malte mir aus, wie mein Vater wohl wäre, dass ich ihn eines Tages suchen und finden würde …
»Kate, bitte …«, sagte Ralph leise.
»Was denn? Ich bin zwölf, ihr könnt mir nicht ewig erzählen, dass ihr
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