Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
…« Ich hielt inne. »Sag m al, wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen?«
Er sah mich mit glasigem Blick an. Wie anders ein Mensch sein kann, wenn er getrunken hat, dachte ich. Sam war kaum wiederzuerkennen. Ich bekam langsam Angst vor ihm und war froh, dass so viele Menschen um uns herum waren.
»Du musst dich nicht rechtfertigen. Du bist sowieso eine Lügnerin. Bei mir tust du so, als ob du noch nicht so weit wärst, und dem Amerikaner wirfst du dich an den Hals.«
»So ein Quatsch!«, rief ich.
»Ich weiß es doch! Alle reden schon drüber!«
»Das kann gar nicht sein, weil es nichts zu reden gibt!« Selbst wenn uns jemand beobachtet hatte, wie Matt und ich am Wasser gesessen und uns unterhalten hatten – was gäbe es da zu reden? Wir waren danach nicht einmal zusammen ins Haus gegangen, weil Matt beschlossen hatte, noch einen Spaziergang zu machen, um endlich müde zu werden. Der Jetlag machte ihm noch immer zu schaffen.
»Muss ja ein toller Kerl gewesen sein, dein Brian.«
»Ja, das war er! Aber was soll das jetzt?«
»Wenn du dich jetzt dem nächstbesten Penner an den Hals wirfst? Muss die große Liebe gewesen sein, was? Dein Brian und du?«
Ich war so fassungslos, dass ich mich nicht rühren konnte. Und ich verstand auch im ersten Augenblick nicht, was dann geschah. Es ging viel zu schnell. Ich bekam einen Stoß in die Seite, taumelte der Bühnenbildnerin in die Arme, und als Nächstes sah ich, wie Emma ihre Hand in einen Sektkühler hielt und Sams Nase blutete. Es wurde wild durcheinandergerufen, aber ich konnte nicht verstehen, wer was sagte. Emma gestikulierte mit der freien Hand herum, sagte etwas zu den Leuten, die um sie herumstanden und sie anstarrten, und zeigte dann auf mich. Zwei der Schauspieler packten Sam an den Armen und schleiften ihn aus der Wohnung.
»Wow«, sagte Sophie, die neben mir aufgetaucht war. »Was genau hat Sammy-Boy denn angestellt, dass Klein-Emma ihm so dermaßen eine reinhaut?«
»Sie hat mich verteidigt«, sagte ich, selbst erstaunt und erschüttert über meine Worte. »Sam hat mich wild beschimpft und dann noch über Brian gelästert. Emma hat das wohl mitbekommen. Ich war viel zu perplex und wusste nicht, was ich sagen sollte.«
»Und da hat dann Supergirl Emma übernommen«, nickte Sophie.
»Neidisch?«
»Nur wenn ihre Hand nicht gebrochen ist. Seine Nase ist es nämlich.«
Ich ging zu Emma, um nach ihrer Hand zu sehen. Vorsichtig tastete ich die Knochen ab.
»Es geht schon«, sagte sie. »Entschuldige, ich … Keine Ahnung, was da in mich gefahren ist. Aber er hat so gemeine Sachen gesagt und einfach nicht aufgehört, und du sahst ganz mitgenommen aus, und da hab ich …« Sie biss sich auf die Lippen.
»Schon gut. Er wird’s überleben. Wie fühlt sich die Hand an? Es scheint nichts gebrochen zu sein, aber vielleicht sollten wir sie zur Sicherheit im Krankenhaus röntgen lassen.«
Emma lächelte mich an. »Ich bin Krankenschwester, schon vergessen? Ich weiß selbst, dass nichts gebrochen ist. Und morgen bin ich sowieso in der Klinik, um nach Kaelynn zu sehen. Falls etwas ist, kann ich mich dann immer noch behandeln lassen.«
»Sicher?«
»Ich habe sie noch keinen einzigen Tag allein gelassen«, sagte Emma mit Nachdruck.
»Nein, das meinte ich nicht. Sicher, dass du so lange warten willst?«
»Ja. Es ist alles okay.«
»Soll ich mitkommen?«, fragte ich. »Wir können zusammen zu Kaelynn fahren. Dann musst du nicht den Bus nehmen. Und ich kann sicher sein, dass mit dir alles okay ist. Ich weiß, es ist nur die Hand, aber … Na ja. Ich will einfach, dass es dir gut geht.«
Sie sah mich mit so viel Wärme an, dass mein Herz einen Sprung machte. »Du bist wirklich die beste Freundin, die man haben kann, Kate.«
In London sollte mein schönes, neues Leben beginnen. Ich nahm mir fest vor, diesmal alles richtig zu machen. Ich wollte, dass ich eines Tages sagen konnte: Seht her, ihr habt alle an mir gezweifelt, aber das hier hab ich mir ganz allein aufgebaut, ohne euch! Ich hab euch nicht gebraucht, und ich brauche euch immer noch nicht!
Ja, damit meinte ich natürlich meine Eltern. Und meine Geschwister. Ich hatte nach wie vor keinen Kontakt mehr zu ihnen. Einmal nur hatte ich zu Hause angerufen, es war an diesem schrecklichen Weihnachten in Brighton gewesen, bevor mich die Sozialarbeiterin fand und – wie ich heute wohl zugeben muss – mir das Leben rettete. Ich rief von einer Telefonzelle aus bei ihnen an. Eine meiner Schwestern,
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