Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
darüber nicht reden wollt.«
»Was hat dir deine Mutter denn über ihn gesagt?«
Ich sah störrisch aus dem Fenster. »Warum, was kannst du mir denn über ihn sagen?«
»Kate, Schatz. Bitte nicht.«
»Du weißt doch genau, was sie dazu gesagt hat. Dass sie achtzehn war und wahnsinnig verliebt in ihn und er in sie, aber dann musste er nach Neuseeland gehen, und erst als er weg war, hat sie gemerkt, dass sie mit mir schwanger war, und dann hatte sie keine Adresse von ihm und konnte ihm nicht Bescheid sagen. Aber sie hat mir nie gesagt, wie er heißt. Sie hat immer nur gesagt: ›Frag bitte nicht, irgendwann sag ich dir alles, aber ich bin immer noch so traurig.‹«
»Er hieß Frank.«
»Frank?«
»Ja.«
»Jeder heißt Frank. Das denkst du dir aus!«
»Doch, er hieß Frank.«
»Und wie weiter?«
»Hab ich vergessen.«
»Du lügst.«
Ralph schwieg und tat so, als würde er sich sehr auf den Verkehr konzentrieren müssen. Er war ein schlechter Lügner und ein schlechter Schauspieler. Er konnte nicht einmal einer Zwölfjährigen etwas vormachen.
»Wie weiter?«, fragte ich noch mal.
»Frank O’Neill.«
»Dann würde ich Kate O’Neill heißen, wenn die beiden geheiratet hätten?«
Ralph brummte nur.
»Und was macht er in Neuseeland?«
»Weiß ich doch nicht. Das ist fast dreizehn Jahre her.«
»Warum ist er nach Neuseeland gegangen? Kommt er aus Neuseeland? War er nur zu Besuch? Oder kommt er hier aus der Gegend?«
Mein Onkel seufzte tief. »Schau mal, Liebes, wir sind jetzt da. Lauf rein zu Margaret, sie hat bestimmt schon im Krankenhaus angerufen, um zu fragen, wie es deiner Mutter geht. Ja? Ich bring deinen Koffer rein.«
Es gab keine Neuigkeiten aus dem Krankenhaus. Sophie und Mary waren ebenfalls da, und alle sahen irgendwie angespannt aus.
»Sie wird doch wieder gesund?«, fragte ich. »Sie hat doch nur Migräne, die hat sie doch ganz oft?« Soviel ich wusste, konnte man an Migräne nicht sterben. Ich hatte schon alle meine Lehrer gefragt.
Trotzdem schlief ich in der Nacht sehr schlecht. Ich stand irgendwann auf, machte das Licht an und schrieb einen Brief an Emma. Alles, was mir so durch den Kopf ging: Dass ich es blöd fand, jetzt ohne sie in Kinsale zu sein. Dass ich lieber bei ihr und ihren Eltern geblieben wäre, auch wenn sie dort nie genug Platz hatten, weil immer noch vier der sechs Kinder bei ihnen im Haus mit drei Schlafzimmern wohnten. Dass ich Onkel Ralph nach meinem Vater gefragt hatte und endlich wusste, wie er hieß, aber immer noch nicht herausbekommen hatte, wo er herkam und warum er nach Neuseeland gegangen war. Dass ich mich auf die Schule freute, weil wir dann wieder jeden Tag zusammen sein würden. Ich durchwühlte Margarets wuchtigen Schreibtisch nach einem Umschlag und einer Briefmarke. Dann schlich ich mich aus dem Haus und ging zum nächsten Briefkasten. Mitten in der Nacht, ganz allein, als zwölfjähriges Mädchen. Ich hatte überhaupt keine Angst, weil ich die Straßen und Wege fast besser kannte als die Gegend, in der ich aufgewachsen war. Außerdem schien der Vollmond sehr hell. Wenn ich später daran dachte, wie oft ich mich heimlich nachts aus dem Haus geschlichen hatte, weil ich nicht schlafen konnte, musste ich mir eingestehen, dass ich einen Schutzengel gehabt hatte, denn mir war wirklich nie etwas geschehen.
Nachdem ich den Brief an Emma eingeworfen hatte, rannte ich noch runter ans Wasser. Ich saß damals schon gerne auf dem Parkplatzmäuerchen gegenüber vom Jacob’s Ladder. Als ich endlich müde wurde, ging ich zurück zu Margarets Haus. Ich sah, dass ich die Schreibtischschubladen nicht richtig zugemacht hatte, und machte mich daran zu schaffen. Eine ging nicht richtig zu, etwas klemmte fest. Ich zog sie ganz raus, um nachzusehen, und dabei fiel ein großformatiges Foto auf den Boden. Über mir hörte ich Schritte – war Margaret wach geworden? Schnell hob ich das Foto auf und warf einen kurzen Blick darauf. Ein Klassenfoto. Ich wollte es schon weglegen, als ich auf der Rückseite die Namen der Schüler geschrieben sah, und einer davon lautete Frank O’Donnell. O’Neill, hatte Ralph gesagt, aber vielleicht hatte er ja gelogen? Oder einfach etwas verwechselt? Ich drehte das Foto um, und ich erkannte sofort meine Mutter. Ich kam aber nicht dazu, es mir in Ruhe anzusehen, weil ich wieder Schritte über mir hörte. Im nächsten Moment zerriss das Schrillen des Telefons die nächtliche Stille, und ich ließ das Foto vor Schreck fallen. Es segelte
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