Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Ein Schritt, auf den ich sehr stolz war. Für mich bedeutete er: Ich wusste, was ich wollte und was nicht, und ich handelte danach.
Mit den Kolleginnen hatte ich mich nach und nach gut angefreundet, und auch die Freundschaften mit den Indern in meiner Nachbarschaft hielten an. Nach einem Jahr konnte ich sagen: Ich hatte mich eingelebt, fühlte mich zu Hause, wusste, dass ich keinen Mann zum Glücklichsein brauchte – und doch starb die Sehnsucht nach meiner Familie nicht einfach so.
Es war mein fünfundzwanzigster Geburtstag, an dem ich es nicht mehr aushielt und zu Hause anrief. Diesmal ging mein Vater ran, und es geschah etwas ganz Merkwürdiges. Er meldete sich nicht mit »Hallo« oder seinem Namen, er sagte: »Herzlichen Glückwunsch.«
Ich musste lachen, und gleichzeitig kamen mir die Tränen. »Woher weißt du, dass ich es bin?«, fragte ich nach einer Ewigkeit.
»Es ist dein Geburtstag«, sagte er nur. Und dann: »Deine Mutter kommt gleich nach Hause.«
Ich verstand sofort, was er mir damit sagen wollte: Sie wünschte keinen Kontakt. Sie hatte wohl auch allen in der Familie mitgeteilt, dass ein Kontaktverbot verhängt worden war. Natürlich von ihr höchstpersönlich. Ich war eine unerwünschte Person, obwohl sie diejenige war, die schlimme Fehler begangen hatte.
»Danke«, sagte ich zu ihm.
»Wofür?«
»Dass du mir gratulierst.« Es war in der Tat das schönste Geburtstagsgeschenk seit Langem.
»Geht es dir gut?«, fragte er, und ich bejahte. Ich erzählte rasch, dass ich in London lebte und als Krankenschwester arbeitete und dass ich glücklich sei. Es stimmte, ich fühlte mich in diesem Moment wirklich glücklich. Er erkundigte sich nach meiner Gesundheit, und ich sagte ihm, er würde mich nicht wiedererkennen, wenn er mich auf der Straße sähe, so sehr hätte ich abgenommen. Ich erzählte ihm, dass ich dreimal in der Woche Sport machte und mich gesund ernährte und die Arbeit toll wäre und ich viele neue Freunde hätte. Ich spürte, wie sehr er sich darüber freute. Als er durch ein Fenster sah, dass meine Mutter zurückkam, legten wir auf. Ich versprach nicht, bald wieder anzurufen, und er bat auch nicht darum. Er wusste jetzt, dass es mir gut ging, und er würde hoffentlich denken, dass es mir all die Jahre gut gegangen war. Dieser kurze Anruf versöhnte mich etwas, zumindest mit meinem Vater. Ich wusste nun, dass er jeden Tag an mich dachte und, gläubig, wie er war, für mich betete.
Ich arbeitete damals in der Notaufnahme. Ein Knochenjob, aber ich machte ihn gerne. Ich hatte zu der Zeit engere Freundschaft mit einer Kollegin geschlossen, sie hieß Samira. Wir unternahmen viel zusammen und hatten sehr viel Spaß. Mittlerweile war mein Selbstbewusstsein gesundet, die tiefen Wunden von früher waren geschlossen. Ich fühlte mich stark und sicher. Und ich verliebte mich.
Frank O’Donnell hatte es mir von meinem ersten Tag im Krankenhaus an angetan. Er war Ire, schien sogar ebenfalls aus dem Süden zu kommen. Sein Akzent war schon sehr verwaschen durch die vielen Jahre, die er in England war. Aber wann immer ich mich mit ihm unterhielt, fiel er in meinen Dialekt zurück. Dr. Frank O’Donnell stieg zum Chefarzt auf, nachdem mein Exfreund Sebastian gegangen war, um eine Privatklinik irgendwo im Norden zu leiten. Frank war ein vollkommen anderer Chef. Demokratisch und offen, gleichzeitig aber auch von einer niederschmetternden Direktheit, wenn man einen Fehler gemacht hatte. Wenn er eine Entscheidung getroffen hatte, setzte er sie nicht einfach durch, sondern begründete sie in kurzen, klaren Sätzen. Ich respektierte ihn. Und war total in ihn verknallt.
Irgendwann sagte er mal zu mir: »Schwester Emma, Sie sehen anders aus. Was ist los? Gute Nachrichten?«
Ich schüttelte den Kopf. »Eigentlich nichts Besonderes.«
Er sagte nur: »Na, irgendwas wird schon sein. Find ich jedenfalls gut. Gut für Sie.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Seit gestern hat sich nichts bei mir verändert.«
»Wirklich nicht? Dann liegt es wohl an mir.« Er läc helte. Ich wartete, bis er gegangen war, und dann grinste ich fröhlich vor mich hin. Dr. O’Donnell hatte gerade mit mir geflirtet. Wenn das kein gutes Zeichen war.
Am nächsten Tag sorgte ich dafür, dass wir – als wäre es ein Zufall – zur gleichen Zeit unsere Kaffeepause machten.
»Wie sehe ich heute aus, Dr. O’Donnell?«, fragte ich ihn.
»Wie immer«, sagte er.
Ich hob eine Augenbraue und sah ihn herausfordernd an.
»Das ist ein
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