Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Freundin, bevor Mutter starb.«
»Ach, die Emma! An die hab ich seit Jahren nicht mehr gedacht. Über zwanzig Jahre ist das jetzt her!«
»Sie ist letztens hier im Pub aufgetaucht.«
»Wirklich? Woher wusste sie, dass du hier bist? Ich meine, ihr hattet doch ewig keinen Kontakt mehr?«
»Sie hat mich irgendwann mal zufällig gesehen und wollte sich eigentlich nur bei dir danach erkundigen, wo sie mich finden kann.«
»Ah. Und Emma hat Sam eins auf die Nase gegeben?«, unterbrach Mary mich ungeduldig.
Ich nickte. »Er war wirklich richtig fies zu mir. Ich war so schockiert von dem, was er zu mir gesagt hatte, dass ich mich nicht mal bewegen konnte.«
»Und Emma hat es gesehen und – zack.«
»Ja.« Ich musste grinsen.
Mary grinste mit, aber dann unterdrückte sie es, um vorwurfsvoll zu sagen: »Und ich dachte, Sam und du …«
»Nein. Wirklich nicht.«
»Wie hat er dich denn beleidigt?«
Ich wollte ihr nicht alles sagen. Nicht dass sie noch auf komische Gedanken kam, was unseren Gast anging. »Er ist über Brian hergezogen.«
»Idiot«, sagte sie ungnädig. »Dann hat er es verdient. Hör mal, was hast du heute so vor?«
Ich hob die Schultern. »Arbeiten. Was sonst?«
»Ah ja. Genau darüber wollte ich mit dir reden. Tina scheint gerade wieder mal mehr Geld zu brauchen und hat gefragt, ob sie öfter aushelfen kann. Ich habe Ja gesagt. Dann hättest du auch mehr Zeit für dich.«
»Aber ich helfe euch gerne!«, protestierte ich.
»Du brauchst mehr Zeit für dich. Du musst mehr raus und dir Gedanken machen, wo die Reise des Lebens so hingeht.«
»Vielleicht will ich gar nicht verreisen, hm?« Ich meinte es nur halb im Scherz.
»Für solche Sprüche gibt es die rote Karte. Heute hast du frei. Na los, geh und tu was für dich! Du bist siebenunddreißig, hast eine gute Ausbildung, du wirst etwas anderes arbeiten wollen, als hier hinter dem Tresen zu stehen.«
»Es macht mir Spaß! Ihr könnt das auch nicht mehr ewig machen, und wer übernimmt dann das Jacob’s Ladder?«
»Du nicht.«
»Wieso nicht?«
»Weil du keine Gastwirtin bist.«
»Mach ich das so schlecht?«
»Du machst es gut, aber es ist nicht das Richtige für dich. Ich weiß, wie jemand aussieht, der das mit dem Herzen macht. Okay? Und jetzt raus hier.« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Ausgang, aber sie lächelte dabei.
Ich fühlte mich immer noch gute dreißig Jahre jünger und schwer gedemütigt, und deshalb tat ich brav, was sie sagte. Ich verschwand auf mein Zimmer, setzte mich aufs Bett, starrte die Wand an – und hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich mit meinem Leben machen sollte.
Es stimmte, ich könnte niemals dieses Pub führen. Ich konnte natürlich aushelfen, aber ich hätte keine Ahnung, wie ich den Betrieb managen müsste. Ich könnte alles lernen, ich hatte schon eine Menge aufgeschnappt. Aber sie hatte recht, mein Herz hing nicht daran. Die Vorstellung, bis ins hohe Alter Zimmer zu vermieten und Tag für Tag Gäste zu bewirten, immer der gleiche Trott, niemals eine Pause … Andererseits gingen Ralph und Mary in ihrer Arbeit vollkommen auf. Sie zogen so viel aus den Begegnungen mit den Gästen, sie konnten stundenlang über neue Lieferantenpreise diskutieren oder über den bevorstehenden Austausch der Zapfanlage. Sie wurden es nicht müde, sieben Tage in der Woche zu arbeiten, jahrein, jahraus. Wenn in der Wintersaison wenig los war, schlossen sie für zwei Wochen, aber selten fuhren sie weg. Beide waren noch nie irgendwohin geflogen, hatten noch nie eine Schiffsreise unternommen, waren noch nie im Ausland gewesen. Nicht einmal in Nordirland. Aber sie waren glücklich. Nicht einfach nur zufrieden, sondern glücklich. Ich hatte es in den letzten Monaten schon oft gesehen, wenn sie sich allein glaubten. Wie sie sich anlächelten, umarmten, wie sich ihre Hände leicht im Vorbeigehen berührten. Und das nach fast vierzig Jahren Ehe. Ob sie wussten, was das für ein unglaubliches Geschenk war?
Ralph hatte mir mal erzählt, seine Frau wäre eine Zeit lang unglücklich gewesen, weil sie nach Sophie keine Kinder mehr hatte bekommen können. Sophies Geburt war sehr schwer gewesen, der Arzt hatte mit Ralph gesprochen und gesagt: »Wie es aussieht, werden wir eine Entscheidung treffen müssen – Mutter oder Kind. Wir können nicht beide retten.« Es war anders gekommen, aber man hatte Mary direkt nach der Geburt operieren müssen, weil die Blutungen nicht zu stoppen waren. Sophie war zwei Wochen überfällig gewesen,
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