Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
darum gebeten hätte. Vielleicht fasst er es als Einmischung auf. Und dann dachte ich: Warum habe ich das getan? Was geht mich dieser Matt an? Ich musste mir eingestehen, dass mich die Geschichte um seine Herkunft, die Geheimnisse, die es da vielleicht gab, berührt hatten, ebenso wie der Tod seines Vaters, der besessen gewesen war von dem Gedanken, einen Schatz zu heben und herauszufinden, wer seine Vorfahren waren.
War es, weil ich selbst so viele Fragen zu meiner Herkunft hatte? Oder steckte noch mehr dahinter?
Kurz nach unserer Hochzeit schlug Frank mir vor, mein Psychologiestudium wieder aufzunehmen. Aber das wollte ich nicht. Stattdessen machte ich Fortbildungen und spezialisierte mich auf Frühgeborene und deren Nachsorge. Ich gründete mit seiner Hilfe ein Zentrum für Eltern, die ein Frühchen bekommen hatten und auch über die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt hinaus Hilfe benötigten. Wir finanzierten uns teils aus öffentlichen Geldern, die ich hartnäckig einforderte, und aus privaten Spenden.
Wie hätte ich ahnen können, dass ich Jahre später selbst einmal in die gleiche Situation käme? Als wäre es Bestimmung gewesen, mich genau darauf zu spezialisieren …
Von nun an war ich die Hälfte der Zeit im Krankenhaus, die andere Hälfte bei den Familien zu Hause. Im ersten Jahr schon war die Nachfrage so groß, dass ich fünf neue Mitarbeiterinnen einstellen konnte.
In dieser Zeit hatte ich Einblick in jede Londoner Gesellschaftsschicht. Ich lernte verwahrloste obdachlose junge Mädchen kennen, die es nie schaffen würden, ihr Leben zu ändern, auch wenn sie es um des Kindes willen versuchten, bis hin zu wohlhabenden adeligen Ehepaaren, die sich mit Anfang vierzig endlich ihren Kinderwunsch erfüllt und nun Angst um die letzte Möglichkeit auf gemeinsame Weitergabe ihrer Gene hatten. Ich betreute eine zwangsverheiratete arabische Frau, die zum fünften Mal eine Frühgeburt hatte, weil sie und ihr Mann miteinander verwandt waren und einen Gendefekt weitergaben, der es ihnen eigentlich unmöglich machte, jemals gesunde Kinder zu haben – auch diesmal würde das Kind nur wenige Monate überleben. Ich wurde zu einer Schauspielerin gerufen, die ihr Kind in große Gefahr gebracht hatte, weil sie während der Schwangerschaft Diätpillen genommen und zu wenig gegessen hatte. Ich war für all diese Frauen und Familien Krankenschwester, Engel, Vertraute, Therapeutin, Sozialarbeiterin … Ich sah Partnerschaften, Hoffnungen und Kinder sterben. Aber ich sah auch sehr viel Glück und Freude, ich sah Hoff nung wachsen und zu Gewissheit werden, wenn die wi nzigen Körper mit jedem Tag kräftiger wurden.
Ich setzte mich mit den Behörden in Verbindung, wann immer ich auf unhaltbare Zustände aufmerksam wurde: Du glaubst nicht, wie viele Wohnungen vermietet werden, in denen es nicht mal fließendes Wasser gibt. Von Ungeziefer und Ratten ganz zu schweigen. Vermieter bekamen Ärger durch mich. Frank sagte immer: »Eines Tages flattert dir die erste Morddrohung ins Haus.« Er meinte, einen Witz zu machen, aber vermutlich lag er damit gar nicht so weit daneben. Viele Frauen hatten keine Ahnung von der richtigen Ernährung, weder für sich noch für ihre Kinder. Nicht wenige konnten nicht genug Englisch, um bei Ärzten oder Behörden das zu verlangen, was sie brauchten. Wir organisierten Übersetzer. Ich zeigte Ehemänner an, die ihre Frauen misshandelten. Ich hielt mehr als eine Mutter davon ab, ihr schreiendes Kind an die Wand zu werfen. Es gab eine, bei der ich zu spät kam.
Es war der fünfte Jahrestag meiner Initiative. Ich hatte mit zwei Mitarbeiterinnen angefangen, im ersten Jahr waren es fünf gewesen, und mittlerweile hatte ich ein Netzwerk in ganz London aufgebaut. Andere Städte folgten unserem Beispiel. Frank war unheimlich stolz auf mich. Wir hielten eine kleine Feier in unserem Büro in Hounslow ab – dort, wo alles begonnen hatte. Gerade als wir auf fünf erfolgreiche Jahre die Gläser erheben wollten, wurde Frank angepiept. »O nein, ich hab vergessen, Bereitschaft zu tauschen.« Er sah mich zerknirscht an. »Es tut mir so leid!«
Ich lächelte ihn an und sagte: »Ist schon gut, bis später!« Ich wette, alle um uns herum waren neidisch, wie harmonisch unsere Ehe verlief und wie gut wir aufeinander eingespielt waren.
Es gab unzählige Momente wie diesen: Ich spürte, wie wichtig ich Frank war und wie sehr er mich liebte. Aber ich konnte nichts davon erwidern. Meine Liebe zu ihm war während unserer
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