Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
zweiten Klasse – mit einer Ausnahme – überlebten und auch fast alle Frauen aus diesen Klassen gerettet wurden, schaffte es weit weniger als die Hälfte aus der dritten Klasse.
»Ich erzähle an dieser Stelle immer noch ganz gerne, dass es beim Auslaufen in Southampton schon einen Beinahezusammenstoß mit einem anderen Schiff im Hafen gab. Als die Titanic ablegte, rissen die Seile der New York durch die starke Sogwirkung. Die New York trieb auf die Titanic zu, und man konnte gerade noch eine Kollision verhindern. Ein Vorbote auf das, was später geschah? Jedenfalls hätte man sich danach gewünscht, es wäre zu der Kollision gekommen und die Titanic wäre nicht ausgelaufen. Oder erst später. Man weiß ja nie, manchmal muss sich nur eine scheinbar unbedeutende Kleinigkeit im Ablauf ändern, und die Geschichte würde neu geschrieben werden. Jedenfalls dauerte es noch gute zwei Stunden, bis die Titanic sank. Eine Ewigkeit verglichen mit den achtzehn Minuten, die die Lusitania nur gebraucht hatte.«
»Achtzehn Minuten!«, rief jemand, und auch Karen und Becca stöhnten entsetzt auf.
»Achtzehn Minuten. Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich in zwei Stunden um mehr als zweitausend Menschen in Lebensgefahr kümmern. Das kommt einem schon knapp vor. Bedenken Sie, dass die ersten Rettungsboote erst gut eine Stunde nach der Kollision mit dem Eisberg gefiert wurden. Und dann stellen Sie sich vor: achtzehn Minuten. Interessieren Sie sich auch für die Lusitania ?«
»Ja!«, rief ich, ohne nachzudenken. Ein paar Köpfe drehten sich zu mir um, manche mit ungeduldigem Blick, weil sie nur wegen der Titanic hier waren, andere nickten mir zu, weil sie sich offenbar ebenfalls dafür interessierten.
Der Tourguide beschloss einen Kompromiss. »Ein paar Fakten zum Vergleich der beiden Dampfer: Bevor die Titanic gebaut worden war, galt die Lusitania eine Weile als das größte Passagierschiff der Welt. Und auch sie erachtete man als unsinkbar. Man hatte keine Angst vor Angriffen, denn die Lusitania war, als sie 1915 ihre letzte Fahrt antrat, sehr viel schneller als jedes Schiff, das jemals von einem U-Boot getroffen worden war. Sie schaffte über 26 Knoten. U-Boote schafften 13 Knoten, und das schnellste der bisher getroffenen Schiffe hatte 15 Knoten Geschwindigkeit. Den anfänglichen Bestand von nur sechzehn Rettungsbooten, die jeweils Platz für neunzig Passagiere boten, erhöhte man nach dem Untergang der Titanic . Aber es fuhren ja über zweitausend Menschen mit, und es dauerte wie gesagt achtzehn Minuten, bis das Schiff sank … Jetzt gehen wir weiter, und ich zeige Ihnen als Nächstes – nein, meine Damen, nicht Leonardo DiCaprio, das hätten Sie wohl gerne …«
»Pst«, machte Becca zu mir und winkte mich von der Gruppe weg. Karen stand bereits vor dem Schaufenster eines kleinen Antiquariats und spähte neugierig hinein. Es gab dort neben alten Büchern auch Nachdrucke von Schiffsfotografien, Karten, anderen alten Fotos. »Karen liebt diesen alten Plunder«, sagte Becca kichernd und sah auf ihre Armbanduhr. »Der Zeit nach ist die Führung sowieso gleich vorbei. Was meinen Sie? Wollen wir reingehen?«
»Ich geh da auf jeden Fall rein«, sagte Karen, ohne sich nach uns umzudrehen, und öffnete die Tür zum Laden.
»Es gibt nichts, was sie aufhält. Wenn ich sage: Wir gehen später hin, dann sagt sie: Später ist der Laden vielleicht geschlossen, oder wir finden ihn nicht mehr …« Becca lachte, und ich ließ mich von ihr in das Antiquariat ziehen.
Wir wurden von dem Besitzer freundlich begrüßt. Er bot Tee an. Ich lehnte dankend ab, aber Karen und Becca gingen erfreut auf sein Angebot ein. Es dauerte ein wenig, bis sich meine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten und ich mich in dem Laden orientieren konnte.
»Suchen Sie was Bestimmtes?«, fragte der Mann, nachdem er die beiden mit Tee versorgt und auf einem alten, gemütlichen Plüschsofa, das im hinteren Teil des Ladens stand, platziert hatte. »Oder haben Sie Fragen?«
»Oh, eigentlich nicht. Wir waren gerade bei dieser Titanic -Tour …«
»Ah, der Titanic Trail ! Hat es Ihnen gefallen?«
Becca kicherte, und Karen rief: »Sehr lehrreich!«
Ich hob die Schultern. »Es gibt so Fakten, die man kennt, wenn man hier lebt, aber irgendwie verbindet man nichts damit. Und in der letzten Dreiviertelstunde habe ich mehr über meine Vorfahren und ihr Leben hier erfahren als – in der Schule, zum Beispiel.«
Der Mann lächelte. »Das geht vielen so. Ich
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