Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)

Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)

Titel: Emmas Geheimnis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Balfour
Vom Netzwerk:
empfehle jedem, diese Tour oder eine ähnliche mitzumachen. Vielleicht nicht denen, die hier in Cobh leben. Die haben ja überall die Bilder und Gedenktafeln und was nicht noch alles vor Augen. Aber so manch einer aus der Stadt …«
    »So wie ich.« Jetzt lächelte ich auch.
    »Wir Iren sind große Geschichtenerzähler. Das waren wir immer. Aber irgendwie hat es mit der letzten Generation abgenommen.«
    »Was glauben Sie, woran das liegt?«
    »Ach, ich will jetzt nicht klingen wie ein alter, sturer Mann, der sich dem Fortschritt in den Weg stellt. Ich habe nichts gegen Fernsehen und Internet und das ganze Zeugs. Ich glaube einfach nur, dass wir dadurch viel zu v iele Geschichten erzählt bekommen. Wir brauchen nic ht mehr unsere Großeltern zu fragen. Oder Freunde. Überall sind Geschichten. Nur haben die nichts mehr mit uns zu tun, und sie sagen uns auch nichts darüber, wo wir herkommen und wer wir sind. Verstehen Sie?«
    Ich musste nicht lange darüber nachdenken. Ich verstand sofort, was er meinte. »Wie gut, dass es Ihren Laden gibt. Da findet man wenigstens die Geschichten, die sich lohnen. Oder nicht?«
    Jetzt lachte er. »Also suchen Sie doch etwas Bestimmtes.«
    »Nein, eigentlich nicht …«
    »Wirklich nicht?«
    Ich zögerte. Auf der Führung hatte ich nach der Lusitania gefragt, Matts Geschichte ließ mich einfach nicht in Ruhe. »Ich glaube ja nicht, dass Sie da etwas haben …«
    »Probieren Sie’s aus.«
    »Jemand namens Hugh Lane? Er hatte irgendwas mit Kunst zu tun. Mit Bildern. Aber vermutlich …«
    »Da habe ich tatsächlich etwas«, sagte er zu meinem Erstaunen. Er stand auf und ging zu der Bücherwand, vor der ich gerade stand. Nach einigem Gemurmel und Herumsuchen zog er ein vergilbtes Büchlein aus einem der Regale und sah es andächtig an.
    »Hier ist es. Seine Tante hat es geschrieben.«
    »Seine Tante?«
    »Oh, sie war zu ihrer Zeit eine Berühmtheit. Lady Gregory. Selbst eine Schriftstellerin. Eine Dramatikerin. Schauderhafte Stücke hat sie geschrieben, ganz ehrlich. Aber sie hat viel für die irische Literatur getan. Unterhielt einen literarischen Zirkel. Förderte irische Literatur, wo sie nur konnte. Mit Yeats zusammen führte sie die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts das Abbey Theatre in Dublin. Yeats und sie waren gute Freunde. Shaw verehrte sie. Interessante Frau. Aber wirklich gut schreiben konnte sie nicht. Sagen Sie bloß keinem, dass ich das gesagt habe.« Verschwörerisch hielt er mir das Büchlein hin.
    »Danke.« Ich schlug es auf. »Und dieser Hugh Lane?«
    »Das werden Sie ja dann wohl nachlesen. Wenn Sie das Buch wollen. Ich wäre ein schlechter Geschäftsmann, wenn ich Ihnen erzähle, was drinsteht.« Er grinste.
    »Da haben Sie recht.« Ich hielt das Buch unschlüssig in der Hand. »Was … ich meine, wie viel …«
    Er verdrehte die Augen. »Geht es Ihnen um den Inhalt oder um das Buch? Wenn es Ihnen nur um den Inhalt geht, dann sage ich Ihnen lieber gleich, dass Sie eine Reproduktion übers Internet bestellen können. Wird on demand gedruckt, kostet um die dreißig Euro. Wenn Sie das Original von 1923 wollen – und das halten Sie gerade ein bisschen verschüchtert in der Hand – , dann müssten Sie mit ein paar Euro mehr rechnen. Schließlich ist es das Original. Es hat ein paar Stockflecken, aber ansonsten … Sehen Sie selbst. Was möchten Sie mir dafür geben?«
    Wir verhandelten, einigten uns dank Karens energischer Einmischung auf vierzig Euro, und ich steckte das Buch in meine Handtasche. Karen hatte ganz offensichtlich nicht nur einen Narren an dem Laden, sondern auch an dem Inhaber gefressen. Sie flüsterte mir zu, dass sie noch eine Weile bleiben würde, ich könnte ja schon mal mit Becca vorgehen. Becca erahnte die Pläne ihrer Freundin und gab ihr zu verstehen, dass sie nicht vorhatte, sie allein zurückzulassen. Es gab eine kurze, hitzige Diskussion, bis wir drei vor Lachen fast nicht mehr sprechen konnten. Ich verabschiedete mich von den beiden und dem mittlerweile wohl alles andere als ahnungslosen Antiquar. Als ich vor die Tür trat, war es fast so dunkel wie im Antiquariat geworden. Die Wolken sahen nach Regen aus, der Wind hatte aufgefrischt. Ich beschloss, mir ein nettes Café mit Blick auf den Hafen zu suchen, um dann ein wenig in dem Buch zu lesen. Auf dem Weg dachte ich: Was habe ich da getan? Ich habe für einen fremden Gast ein Buch gekauft, einfach so. Ich habe mich auf die Spur seiner Familiengeschichte begeben, ohne dass er mich

Weitere Kostenlose Bücher