Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Synchronschwimmen interessiert oder Orchideen oder Schlittschuhlaufen oder …«
»Da ist der Regenbogen.« Ich zeigte darauf, und Matt drehte den Kopf.
»Ich kann deinen Vater verstehen«, sagte ich dann.
Matt wandte sich zu mir. »Wieso?«
»Weil … Wenn man nicht sicher ist, wo man herkommt, dann kann man das entweder ignorieren und man rührt nie daran, oder es wird zur Besessenheit und man fängt an, überall Gespenster zu sehen.«
Wir schwiegen sehr lange. Ich sah weiter aus dem Fenster, sah, wie der Regenbogen sich voll entfaltete, konnte sogar einen zweiten ausmachen, bis sich die Wolken verzogen hatten, der Regen nachließ und der Regenbogen komplett verschwand.
»Was ist dein Geheimnis?«, fragte Matt. »Bist du … adoptiert und kennst deine Eltern nicht? Ist es so etwas?«
Ich sah ihm nicht in die Augen. »Ich weiß nicht, wer mein Vater ist.«
16.
In den ersten Jahren nach dem Tod meiner Mutter war es mir so gut wie unmöglich, etwas über meinen Vater in Erfahrung zu bringen. Wie hätte ich recherchieren sollen? Alle Frank O’Neills im Telefonbuch anschreiben oder anrufen? Und was, wenn der Name doch nicht stimmte? Doch mit der Zeit vergaß ich das Klassenfoto und den Namen O’Donnell. Ich glaubte fest daran, mein Vater hieße Frank O’Neill.
Einmal, ich war bereits vierzehn, schrieb ich an den Moderator einer Fernsehserie, in der Menschen, die sich aus den Augen verloren hatten, zusammengeführt wurden. Ich hörte wochenlang nichts. Als ich es schon fast wieder vergessen hatte, sprach mich meine Großmutter darauf an:
»Du suchst deinen Vater, hm?«
»Natürlich!«
»Warum schreibst du ans Fernsehen?«
»Woher weißt du davon? Das geht dich nichts an!«, rief ich trotzig.
»Ich bin deine Erziehungsberechtigte. Sie haben sich an mich gewandt und wollten mehr über die Geschichte erfahren.«
»Klasse. Ich auch. Was hast du ihnen gesagt?«
»Dass er ausgewandert ist und nichts von dir weiß.«
Mein Herz schlug wild. »Was haben sie gesagt? Werden sie ihn suchen?«
Margaret sah mich nicht an. »Sie haben gesagt, sie können nichts versprechen, und erfahrungsgemäß sähe die Sache eher schlecht aus. Du sollst dir keine Hoffnungen machen. Natürlich melden sie sich, wenn sie etwas gefunden haben.«
Ich glaubte ihr damals, weil ich ihr glauben wollte. Ich war enttäuscht, als nach drei Monaten immer noch nich ts passiert war. Nach einem halben Jahr bat ich sie, noch einmal beim Sender anzurufen.
Sie sagte: »Kate, tut mir leid, aber sie finden ihn nicht. Sie sagen, wenn er aufzufinden wäre, hätten sie ihn längst aufgespürt.«
Es sollte Monate dauern, bis ich mehr und mehr zu der Überzeugung kam, dass sie mich angelogen und die Suche nach meinem Vater verhindert hatte. Also wurde ich selbst aktiv und durchstöberte nun zwar nicht die Telefonbücher, sondern die Melderegister nach jedem Frank O’Neill, der im Jahr vor meiner Geburt in Kinsale gelebt hatte. Es waren siebzehn, von denen ich fünf streichen konnte, weil sie entweder unter fünfzehn oder über siebzig waren. Weiter einzugrenzen war mir zu riskant – was wusste ich schon, ob nicht meine Mutter auf der Suche nach einer Vaterfigur gewesen war? Oder ob sie sich in einen sehr frühreifen Jungen verliebt hatte? Tatsächlich fand ich einen Frank O’Neill, der damals sechzehn Jahre alt gewesen war. Hatte meine Mutter ihn nicht als Vater angegeben, weil Sex mit unter Siebzehnjährigen in Irland strafbar war und sie Angst hatte, ins Gefängnis zu wandern? Irgendwann aber hätte sie doch darüber reden können. Verjährte so etwas nicht? Oder hatte sie Angst gehabt, es hätte mich dazu bringen können, zu früh Sex zu haben? All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, bis ich diesem Frank O’Neill gegenüberstand. Er lebte immer noch in Kinsale und arbeitete als Schlachter. Frank O’Neill war groß, breitschultrig und rothaarig. Ihm fehlten zwei Finger an der linken Hand. Von meiner Mutter hatte er noch nie gehört, und ich glaubte ihm sofort, denn er strahlte so viel herzliche Offenheit und burschikose Fröhlichkeit aus, dass ich mir ihn gar nicht beim Lügen vorstellen konnte. Als ich ihm erzählte, dass ich auf der Suche nach meinem Vater war, wurde sein Blick ganz weich.
»Tut mir leid, Mädchen, aber vor sechzehn, siebzehn Jahren war ich gerade in der Ausbildung, da hatte ich gar keine Zeit für so was. Und auch kein Geld, um mal eine ins Kino einzuladen oder auf ein Eis. Nee, ich hab mit neunzehn meine Nathalie
Weitere Kostenlose Bücher