Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
kennengelernt, ein Jahr später haben wir geheiratet, und sie war und ist die erste und einzige Frau in meinem Leben.« Er strahlte, als er von seiner Nathalie sprach. Ich glaubte ihm.
Auch alle anderen Franks nahm ich mir vor und hakte sie nach und nach ab. Ich fiel nicht mit der Tür ins Haus, ich fragte nur, ob sie meine Mutter gekannt hatten, sie sei verstorben, und in ihrem Nachlass wäre ich über den Namen Frank O’Neill gestolpert. Keiner reagierte auf ihren Namen, aber vielleicht war auch ein sehr guter Schauspieler unter ihnen. Die Franks, die nicht mehr in Kinsale lebten, schrieb ich an, und bis auf einen antworteten sie mir. Teils nett und höflich, teils ungelenk und verwundert, aber auch da kam ich nicht weiter. Sie hatten so unterschiedliche Berufe wie katholischer Geistlicher, Automechaniker, Tierarzt und Bäcker. Nur ein Einziger war tatsächlich ausgewandert. Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich Kontakt zu ihm bekam. Mittlerweile hatte ich meinen achtzehnten Geburtstag gefeiert und war kurz davor, die Schule abzuschließen.
Dieser Frank O’Neill war so alt wie meine Mutter, und auf ihn hatte ich natürlich alle meine Hoffnungen gesetzt. Er erklärte sich bereit, mit mir zu telefonieren.
»Natürlich kannte ich sie«, sagte er. »Es tut mir so leid, dass sie tot ist! Wie ist das passiert?«
»Sie war sehr krank.« Mehr sagte ich nie, und die Leute fragten auch nie nach. Ich wusste, dass sie dann sofort an Krebs dachten.
»Oh, es tut mir wirklich, wirklich leid«, sagte Frank O’Neill mit einem kleinen Seufzer. »Wann ist das passiert?«
»Es ist schon eine Weile her«, antwortete ich vage.
»Und was hat sie in ihrem Nachlass für mich gehabt? Du hast doch so etwas in deinem Brief geschrieben.« Mit dieser Notlüge hatte ich versucht, sein Interesse so weit zu wecken, dass er mit mir reden würde, und offensichtlich hatte es funktioniert. »Ich wundere mich ehrlich gesagt, weil wir uns so gut gar nicht gekannt haben. Ich war zwar im selben Jahrgang, aber wir hatten … nicht dieselben Interessen.«
Das klang seltsam. »Wie meinen Sie das, nicht dieselben Interessen? Was hatte denn meine Mutter für Interessen?« Ich war auf das Schlimmste gefasst.
»Nicht die Interessen deiner Mutter. Meine vielmehr. Ich bin schwul. Das wusste ich damals so gut wie heute. In den Siebzigerjahren war das bei euch in Irland noch verboten. Da drohten schwere Strafen, wenn einen jemand anzeigte. Und ich war die Sorte Schwuler, die man schon auf fünf Kilometer Entfernung erkennt.« Jetzt lachte er. »Deshalb habe ich mich gleich nach der Schule aus dem Staub gemacht. Hier in New York sah man das alles ein bisschen lockerer.«
Er konnte mir auch nicht sagen, mit wem meine Mutter zu der Zeit enger befreundet gewesen war. Ich bedankte mich höflich und bekam wenige Wochen später riesigen Ärger mit Margaret wegen der Telefonrechnung. Als ich ihr sagte, warum ich in den USA angerufen hatte, wurde sie so wütend, wie ich sie noch nie erlebt hatte.
»Du hast mich hintergangen!«, rief sie.
»Wer hintergeht mich denn seit Jahren? Und erzählt mir Lügen über meine Mutter? Glaubst du denn, ich wei ß nicht, dass das mit der Migräne ein Märchen ist?«
Sie sah mich erschrocken an. »Wie meinst du das?«
»Niemand stirbt an Migräne!«
Margaret wandte mir den Rücken zu. Ich sah, dass ihre Schultern bebten, ich hörte sie leise schluchzen, aber ich brachte es nicht über mich, zu ihr hinzugehen und sie zu trösten. Dazu war ich selbst immer noch viel zu aufgebracht.
»Also hab ich recht«, murmelte ich.
Sie drehte sich zu mir, die Tränen noch im Gesicht. »Nein. Natürlich ist sie nicht an der Migräne gestorben. Ihr Herz hat einfach versagt. Es war zu schwach, und sie hat die große Belastung nicht mehr ausgehalten.«
»Welche Belastung? Ihre Migräne?«
»Der ganze Stress. Diese fürchterlichen Schmerzen. Ihr Herz war zu schwach.« Margaret wischte sich die Wangen trocken und sagte: »Hör auf, nach deinem Vater zu suchen. Du kannst ihn nicht finden.«
»Warum nicht?«
»Wie denn, wenn du nicht weißt, nach wem du suchen sollst?«
»Also ist Frank O’Neill nur eine Erfindung?«, rief ich empört. »Ich glaube, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, mit diesen ganzen dunklen Familiengeheimnissen aufzuräumen. Immerhin bin ich schon achtzehn!« Ich benahm mich allerdings eher wie acht, da ich die Arme verschränkte und mit dem Fuß aufstampfte.
»Nein, Kate, so ist es nicht«, rief Margaret
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