Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
nicht mehr.
Es war dieselbe Ärztin, die mir riet, mich ein paar Wochen lang in einem tibetischen Kloster zu erholen. Ich hörte auf sie. Dort schlief ich drei Tage fast nur, die restliche Zeit verbrachte ich damit, neue Kraft zu sammeln. Gerade als ich anfing, mich zu langweilen, waren die drei Wochen um, und ich flog zurück.
Ich arbeitete wieder, so viel ich konnte, ich steckte einen großen Teil meines Geldes in meine neue Aufgabe. Zwei Ärztinnen aus Schottland, mit denen ich mich angefreundet hatte, arbeiteten nun schon seit vier Monaten in der Station. Diesmal wusste ich, sie würden länger durchhalten als ich. Ich wusste auch, dass ich aufhören musste.
Am Ende war ich nicht nur völlig kaputt, sondern auch komplett desillusioniert. Sanjay las mich nach einem langen, anstrengenden Tag mehr oder weniger von der Straße auf. Ich hatte ihn angerufen. Ich wollte ihn unbedingt sehen.
»Du musst nach Hause«, sagte er.
Und ich: »Und wo soll das sein?« Es war eine reine Trotzreaktion. Ich hatte längst beschlossen, nach Europa zurückzufliegen.
Er bat mich, zu meinen Eltern zu gehen. Davon, dass ich helfen musste, Gutes tun musste, wollte er nichts hören. Ich machte ihm Vorwürfe, behauptete, er hätte mich im Stich gelassen, wurde pathetisch und unterstellte ihm sogar, er hätte sein Land verraten, weil er in einer Villa lebte, während die anderen auf Müllkippen verreckten. Es war ein schreckliches Gespräch, für das ich mich schon eine Stunde später schämte.
Sanjay sagte nur Sachen wie »Es ist alles ein bisschen komplizierter« und »Ich tu mehr, als du glaubst« und redete weiter auf mich ein, meine Sachen zu packen und nach Irland zu fliegen. Nach einer Weile lag ich nur noch still und erschöpft in seinen Armen. Er blieb die ganze Nacht. Am nächsten Tag brachte er mich zum Flughafen, wo er bereits ein Ticket für mich hinterlegt hatte. Zum Abschied wünschte er mir Glück und schenkte mir eine kleine Ganesha-Statue für mein neues Zuhause.
Mit sechzehn Jahren war ich aus Cork weggegangen, und nun, nach zwanzig Jahren, würde ich dorthin zurückkehren.
22.
Ich sah mir Matts Facebook-Profil genau an. Als Erstes ging ich auf die Fotos, die er der Öffentlichkeit nicht vorenthielt. In sattbunten Farben sah ich dort eine schöne Frau etwa in meinem Alter mit langen, braunen Locken, zwei hübsche Jungs, die die Pubertät noch vor sich hatten, und – Matt. Er hatte die Haare etwas länger als jetzt. Die vier strahlten glücklich in die Kamera, im Hintergrund sah man Strand, Meer und die Skyline von New York. Auf den anderen Fotos war Matt meistens auf Konzerten zu sehen, oder wie er Autogramme gab. Ich fand nur noch ein Foto von ihm und seiner Frau, wieder strahlten sie um die Wette.
Ich ging zurück auf die Hauptseite des Profils. Seine Einträge drehten sich in erster Linie um Auftritte. Fans hatten Kommentare hinterlassen, insgesamt las sich alles eher belanglos.
»Ich kann das gerade nicht glauben«, sagte ich.
»Ehrlich gesagt lässt die Sache aber wenig Raum für Spekulationen«, sagte Sophie.
»Allerdings.«
»Und jetzt?« Sophie legte den Arm um mich und drückte mich fest an sich.
»Das soll er mir erklären.« Ich konnte kaum noch etwas sehen, weil mir Tränen in den Augen standen, aber ich war wild entschlossen, nicht loszuheulen. Was war denn schon passiert? Eine unbedeutende Affäre, für ihn ein Urlaubsflirt, kein Grund zusammenzubrechen. Aber man durfte ja wohl noch die Wahrheit erfahren. Ich stand auf, überquerte bemüht langsam die Straße, die um diese Zeit so gut wie nicht mehr befahren war, und ging auf ihn zu. Die Band spielte noch, er saß etwas abseits mit anderen Gästen an einem Tisch, die Gitarre angelehnt. Als er mich sah, lächelte er und forderte seinen Sitznachbarn auf, etwas zur Seite zu rutschen, damit ich noch neben ihm Platz fand.
»Alles in Ordnung?«, fragte er, als ich mich gesetzt hatte. »Das sah vorhin so aus, als hättest du dich gestritten mit … wie hieß er gleich? Sam?«
»Er war nur etwas betrunken. Halb so schlimm«, sagte ich leichthin und im selben Ton: »Warum hast du mir eigentlich nicht gesagt, dass du verheiratet bist und zwei Kinder hast?«
Er sah mich erschrocken an. »Was?«
»Verheiratet. Zwei Kinder. Stimmt doch so, oder?«
»Ja, aber …« Er verstummte.
»Aber?«
»Wir sind nicht mehr zusammen. Schon länger nicht mehr. Das ist nicht so einfach …«
»Was ist nicht so einfach?«
»Mit zwei Kindern. Und einem Haus. Wir
Weitere Kostenlose Bücher