Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
hatte.
»Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte ich ihn.
»Ich wäre doch nie auf die Idee gekommen, dass du mir nachreist! Du wolltest nie nach Indien!«
»Und du hast gedacht, solange ich nichts von deiner Frau weiß, ist das ja nicht so schlimm, oder was? Hast du dir überhaupt irgendwas gedacht?«
»Ich liebe dich wirklich«, sagte er.
»Klar. Und du sagst mir: ›Oh, meine geliebte Emma, wie schade, dass wir nicht zueinanderfinden, weil du verheiratet bist!‹ Das wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, oder? Da kann man doch sagen: ›Weil wir beide verheiratet sind!‹ Nur so fürs Protokoll.«
»Woher soll ich denn wissen, dass du gleich deinen Mann meinetwegen verlässt?«
»Nicht deinetwegen!«, rief ich, und Sanjay sah sich besorgt um. Er hatte mich nach Punjabi Bagh bestellt, ein renommiertes Viertel voller Banken, Fast-Food-Ketten und teuren Bungalows im Westen Delhis, weit genug vom Büro und seinem Zuhause entfernt. Wir saßen in Domino’s Pizza auf unbequemen Barhockern. Natürlich interessierte sich niemand für das, was wir sprachen. Die Kunden wollten ihre Bestellung abholen. Die Mitarbeiter hatten Wichtigeres zu tun. Kein Wunder, dass er sich so einen unpersönlichen Ort für unser Treffen ausgesucht hatte.
»Ich habe meinen Mann verlassen, weil ich mich in dieser Beziehung nicht mehr wohlgefühlt habe. Wir hatten teilweise … zu unterschiedliche Lebenskonzepte. Außerdem hat mir etwas gefehlt. Ich dachte, das könnte ich bei dir finden. Jedenfalls hat es sich in London noch so angefühlt«, sagte ich kühl.
»Warum hast du denn nichts gesagt?«
Ich konnte nur noch den Kopf schütteln. »Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe und mir wünsche, mit dir zusammen zu sein. Ich habe gedacht, du verstehst, wie ernst es mir ist. Ich wusste nicht, dass ich dich vorwarnen müsste und du mit verdeckten Karten spielst.« Ich glitt von meinem Hocker und ging, ohne mich zu verabschieden oder noch einmal nach ihm umzusehen, nach draußen.
Da war ich nun in einer fremden Stadt, in der ich niemanden kannte außer Sanjay. Ich hatte immer an die Liebe zwischen Sanjay und mir geglaubt, nie gab es für mich den leisesten Zweifel daran. Ich musste mir nun eingestehen, wie verrückt und dumm, wie naiv ich gewesen war.
Über das Internet hatte ich die Wohnung eines englischen Kameramanns gemietet, der für ein Jahr in den USA war. Ich weiß nicht, warum ich beschloss zu bleiben, statt sofort abzureisen. Vielleicht weil mir die Energie für alles andere fehlte. Ich lag zwei Tage lang einfach nur im abgedunkelten Schlafzimmer und tat mir leid.
Dann ging ich mir selbst auf die Nerven. Mein Leben war schließlich nicht vorbei, nur weil mein Exfreund mit einer anderen verheiratet war und mich nicht mit offenen Armen empfangen hatte!
Indien war ein Kulturschock in jeder Hinsicht. Bei einer Reise durchs Land lernte ich andere Touristen kennen, Einheimische luden mich zu sich nach Hause ein, ich wurde überall gut aufgenommen, egal ob die Menschen arm oder reich waren.
In Kalkutta traf ich eine deutsche Ärztin, die in den Slums arbeitete. Ich sagte ihr spontan meine Hilfe zu und blieb vier Wochen lang. Danach reiste ich zurück nach Delhi, ausgelaugt, abgemagert, völlig fertig mit den Nerven.
Ich wollte mir aber keine Pause gönnen. Ich hatte eine medizinische Ausbildung, ich hatte Zeit – und ich hatte das Geld vom Verkauf meines Hauses in London. Außerdem hatte ich es schon einmal geschafft, etwas aus dem Nichts aufzubauen, und hatte damit Erfolg gehabt. Warum sollte ich es nicht noch mal versuchen?
Mit der Unterstützung von Ärzten aus Europa gelang es mir, ein kleines medizinisches Zentrum in Delhi zu errichten, in dem vor allem Kinder versorgt wurden. Die Hilfe musste allerdings über eine reine medizinische Versorgung hinausgehen, wie ich schnell feststellte, denn keines der Kinder hatte genug zu essen. Wir organisierten warme Mahlzeiten. Wir arbeiteten Tag und Nacht. Wir schickten Spendenaufrufe in die Welt, holten Reporter und Kamerateams, um auf unsere Arbeit aufmerksam zu machen. Mir starben bei allem Einsatz immer noch zu viele Kinder unter den Händen weg, die meisten an Unterernährung, die anderen an Infektionskrankheiten. Nach nicht mal einem halben Jahr war ich ausgebrannt. Eine Ärztin aus Frankreich meinte, dies sei eine lange Zeit, die meisten blieben nur ein paar Wochen. Sie hatte recht, ich arbeitete mit ständig wechselnden Ärzten zusammen. Jetzt konnte ich
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