Emmas Story
sind wir schon da. Ist das nicht promptemio?«
Frauke lacht überrascht, offenbar und sichtlich eingenommen von dem übersprudelnden Wesen Lus.
Ich bin wie erstarrt. Niemand außer mir scheint gemerkt zu haben, was Lu, die doch sonst immer so unbekümmert mit Sprache umgeht, gerade mit nur zwei Sätzen bewirkt hat. Sie hat es – genau wie damals – mit zwanzig Worten geschafft, klar zu machen, dass sie und ich ein unzertrennliches Team sind. Obwohl es nicht so ist. Es war damals nicht so und ist es heute erst recht nicht. Aber wen interessiert das jetzt noch hier im Kreis? Frauke und Antonie sind sowieso schon gefesselt von dem strahlend weißen Lachen aus dem immer gebräunten Gesicht. Wahrscheinlich wäre es ihnen bestenfalls egal, wahrscheinlich aber wären sie eher befremdet, wenn ich jetzt der Wahrheit zuliebe verkünden würde, dass Lu und ich auf keinen Fall und unter keinen Umständen ein Team sind.
Meine Laune sinkt in den Keller.
Und in diesem stickigen, kaltfeuchten Gewölbe, bestehend aus Frust und Bitterkeit, bleibt sie auch eine Weile. Denn für mich stellt sich heraus, dass Lu von ihrer extrovertierten Art seit der Trennung unserer Wege mit Anfang zwanzig nichts eingebüßt hat.
Sie hat immer noch keinerlei Probleme, mit jedem ins Gespräch zu kommen und eine geraume Zeit damit zuzubringen, zu erzählen, zu lachen und offenbar im Sturm Sympathien zu erobern.
Dabei vertauscht sie beliebig mir und mich, jongliert mit der Grammatik, dass mir schwarz vor Augen wird und entschuldigt sich nebensächlich mit der Tatsache, von Geburt aus Brasilianerin zu sein. Und Brasilianerinnen, erklärt sie Frauke und Antonie – wie ich mit anhören muss – verfügen eben über so viel Temperament, dass die Ruhe und Konzentration, die zum Erlernen von einer so schweren Fremdsprache wie Deutsch notwendig ist, oft leider ›hintenüber fällt‹.
Meine Laune wagt sich erst wieder ein paar Stufen herauf, als Antonie und Lu entdecken, dass sie das gleiche Faible für verrückte Musik haben und begeistert auf die Tanzfläche stürmen, während Frauke und ich zurückbleiben.
Wir halten uns etwas ratlos an unseren Gläsern fest, machen willkürliche Bemerkungen zu den uns umgebenden Frauen und klopfen mit den Füßen den Takt mit.
Schließlich deutet Frauke schmunzelnd zu unseren Begleiterinnen hinüber. »Die scheinen sich ja fantastisch zu verstehen.«
Ich werfe den beiden einen Blick zu. Und tatsächlich wirken Antonie und Lu, obwohl sie sich doch erst seit einer halben Stunde kennen, beim Tanzen miteinander sehr vertraut.
»Tja, offenbar brauchen nicht alle Menschen so eine lange Anlaufphase wie wir zwei«, sage ich leichthin.
Frauke antwortet nicht. Aber der Schluck, den sie aus ihrem Glas nimmt, ist so groß, dass mir der Verdacht kommt, sie wolle sich damit selbst an einer verfänglichen Antwort hindern.
»Sag jetzt bloß nichts! Du hast Recht«, lache ich. »Nicht wir hatten eine lange Anlaufphase, sondern ich .«
Jetzt grinst sie.
»Tut doch nichts mehr zur Sache«, meint sie betont locker. In etwa so locker wie unsere Begrüßungsumarmungen. »Anlaufphase hin oder her. Am Ende ist doch nur wichtig, dass wir beide eine richtig gute Freundin dazu gewonnen haben.«
Wir lächeln uns an, und ich denke: ›Frauke, glaubst du das wirklich?‹
»Ach, nein!«, korrigiert sie sich auch prompt. »Um richtig gut befreundet zu sein, müssten wir ja … wie war das noch? … mindestens ein Elternteil bei einem Autounfall verloren haben, ein anderes an den Suff, wir müssten klauen, haschen, auf Abluftgittern schlafen und uns später gemeinsam am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. So war doch deine Definition von Freundschaft, oder?«
Ich versetze ihr mit dem Ellenbogen einen leichten Stoß in die Seite.
Dann sehen wir weiter zu Antonie und Lu hinüber, die sich offenbar sogar beim Tanzen noch viel zu sagen haben. Sie versuchen sich gerade in einem Discofox. Lu erzählt mit sprechender Mimik, und Antonie hört ihr gebannt zu, hängt an ihren Lippen, lacht laut, sodass es sogar durch die Musik zu uns herüberschallt.
Wie ich hier so stehe und bei diesem Geflirte zusehe, kommt mir ganz ungefragt und vogelfrei ein Gedanke.
Er erschreckt mich so sehr, dass ich ihn sofort verbanne und betreten in mein Glas starre.
›Emma!‹, sage ich mir selbst. ›Hör sofort auf damit, an so was auch nur zu denken!‹
Ich denke also an etwas anderes, an das letzte Telefonat mit Armin.
Ich denke an meinen momentanen Hänger
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