Emmas Story
weil ich es in meinem Studium unter dem Gesichtspunkt der Ethik behandelt habe.
Religion hat sehr viel mit Ethik zu tun. Unser Glaube veranlasst uns dazu, Dinge zu tun oder zu lassen. Er gibt uns Halt, und er zeigt uns Grenzen. Er lässt uns hoffen und vertrauen. Und er bietet ein wunderbares, unerschöpfliches Gesprächsthema, wenn wir eigentlich über etwas ganz anderes reden möchten. Oder wenn wir über etwas gerade nicht reden möchten. Und noch viel weiter: Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass Frauke an ein bestimmtes Thema noch nicht einmal denken möchte.
Denn als die Religionen – selbst der neue Papst – nicht mehr viel hergeben, findet sie noch ein paar andere Dinge, über die es sich zu reden lohnt.
Ein neues Fernsehmagazin für Haustierbesitzer, an dem sie mitarbeiten wird. Das Theaterstück, an dem Angela, die Freundin ihrer Kollegin Michelin, gerade schreibt. Der Billig-Urlaub, den ihre Eltern gerade hinter sich haben und der eine echte Katastrophe gewesen sein muss. Während sie von Baustellenlärm direkt unterm Balkon und gelbstichigem Poolwasser berichtet, wechseln wir – samt Teekanne, Bananensaftflasche, Tassen, Gläsern, Kandisschälchen und Knabberzeugs – hinüber ins Wohnzimmer, um uns auf dem ausgezogenen Sofa auszustrecken.
Loulou hat sich zwischen Bücherregal und Sofa zu einer Fellkugel zusammengerollt und sieht nicht so aus, als wolle sie in den nächsten Stunden auch nur ein Auge öffnen, geschweige denn die Wohnung verlassen.
Frauke redet und redet. So gesprächig kenne ich sie gar nicht.
Aber schließlich, es sind Stunden vergangen – Mitternacht ist längst verstrichen, Loulou hat sich mittlerweile auf den Rücken gedreht und alle viere von sich gestreckt – wird es stiller zwischen uns.
Immer öfter schweigt Frauke.
Anfangs rede ich in ihre Erzählpausen hinein. Aber irgendwann hört auch das auf.
Frauke zieht die Wolldecke, die sie über ihren Beinen ausgebreitet hat, noch ein Stückchen höher und fröstelt.
»Noch etwas warmen Tee?«, biete ich ihr an.
Sie hält mir ihre Tasse hin, und während ich ihr einschütte, öffnet sie plötzlich wieder den Mund: »Wieso hast du mich das eigentlich gefragt?«
Ich sehe sie amüsiert an. »Was denn?«
»Ob ich nie eifersüchtig bin.«
›Aha‹, denke ich. ›Jetzt kommen wir langsam zur Sache.‹
»Du meinst im Bahnhof? Als wir tanzen waren?«
»Ja, im Bahnhof. Als Antonie mit Lu getanzt hat.«
Ich sehe Armins betont unschuldige Miene vor mir. Wenn es doch aber nun schon einmal passiert ist.
Ich weiß, dass ich jetzt, wenn ich so etwas beherrschen würde, einen Dorn würde pflanzen können. In Fraukes Innerstes könnte ich ihn mit ein paar schlichten Worten setzen. Und dort würde aus ihm etwas wachsen. Eine stachelige Pflanze des Misstrauens und der Angst. Ein lebendiges Wesen, das sich in alle Richtungen strecken und seine Trägerin in den unmöglichsten Situationen überfallen würde, unter der Dusche, mitten in einer Arbeitskonferenz, bei einem Kuss ihrer Liebsten, sogar im Schlaf, wo es in wirren Träumen seinen Einzug halten würde.
Es bräuchte nur ein paar einfache Worte.
Aber in dem Moment, in dem ich bereits den Mund geöffnet habe, um sie hinaus zu lassen, fällt mein Blick auf Fraukes Hände, die über der Wolldecke ineinander verschränkt sind. So fest verschränkt, dass ihre Knöchel weiß hervortreten und sich die Fingerspitzen ins Fleisch bohren.
Und da kann ich es einfach nicht mehr.
»Ich weiß, was du meinst«, sage ich daher, anstelle der wenigen, einfachen Worte, die diese andere Art von Antwort gebraucht hätte. »Aber ich bin ganz sicher, dass du nicht eifersüchtig sein musst. Lu ist ein sehr extrovertierter Mensch. Und Antonie doch wohl auch. Sie lernen beide einfach gern neue Menschen kennen. Bestimmt hat Antonie zuerst dich gefragt, ob du mit ihr zu der Party gehen willst, oder?«
Frauke starrt auf die Decke und ihre ineinander gekrallten Hände. Sie nickt. »Ja, hat sie. Aber House ist einfach nicht meine Musik. Ich meine, hin und wieder kann ich es auch mal hören. Aber eine ganze Party nur mit dieser … ne, da hatte ich wirklich keine Lust drauf.«
»Und da hat sie eben Lu gefragt«, stelle ich munter fest.
»Ja.«
»Na, das ist doch das Natürlichste von der Welt.«
Sie zögert. »Bestimmt hast du Recht. Ich dachte nur vorhin so, ob es nicht irgendwie merkwürdig ist, dass sie nach sieben Monaten schon …« Sie bricht kurz ab, um tief zu seufzen und schief zu lächeln.
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