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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Erzähl einfach irgendwas, damit ich Giles aus meinem Kopf bringe.

7
    Er war gerädert aufgewacht, voll der widerstreitendsten Gefühle, von denen er manche leidenschaftlich ableugnete und andere ebenso leidenschaftlich festzuhalten versuchte. Trotz Emilys aufbauender Worte verfolgte ihn die Erinnerung an Oakleys gequältes Gesicht, seine bittende Stimme.
    Ich bin nicht besser als eine Nutte.
    Aber ich konnte es doch nicht wissen.
    Ich wusste es sehr wohl, und ich habe ihm Hoffnungen gemacht.
    Ich wusste es nicht, aber ich hätte es wissen müssen.
    Alle anderen wussten es schließlich auch.
    Und am hartnäckigsten: Wie konnte ich nach Hamburg so scheiß naiv sein? Mir einreden, dass jeder nach seiner Fasson selig werden muss? Dass ja niemand zu Schaden gekommen ist außer Giles selbst?
    Parallel dazu versuchte er Oakleys Äußerungen, verkappte wie nicht so verkappte, daraufhin auszuloten, wie es aktuell um den Geheimhaltungsstatus seiner Extratouren bestellt war. Wenn Charlie Wilkins oder sein Bekannter bei der Met Oakleys Quelle war, wovon Toby ausging, dann waren zumindest seine Fahrt nach Wales und das Treffen mit Brigid aufgeflogen.
    Aber nicht die Fotos. Nicht die Verabredung mit Shorty. War man über seinen Besuch in Cornwall im Bild? Anzunehmen, da die Polizei, oder angebliche Polizei, die Nase ja in jeden Winkel von Kits Club gesteckt hatte und mittlerweile vermutlich auch wusste, dass Emily gemeinsam mit einem Freund der Familie zu Kits Rettung geeilt war.
    Was wiederum hieße?
    Was wiederum hieße, dass die Idee, sich bei Shorty als walisischer Journalist auszugeben, um ihn so ins Boot zu holen, nicht unbedingt die allerklügste sein mochte. Im Gegenteil, sie war höchstwahrscheinlich heller Wahnsinn.
    Warum also nicht einfach Oakleys Rat folgen und sich die Bettdecke über den Kopf ziehen?
    Oder, im Klartext: Hör auf, dich mit unbeantwortbaren Fragen zu quälen, und schau zu, dass du nach Mill Hill kommst, denn ein einziger Augenzeuge, der am Leben bleibt und aussagt, reicht euch ja. Entweder willigt Shorty ein, dann macht ihr da weiter, wo Kit und Jeb aufgehört haben, oder Shorty lehnt ab und verpfeift euch bei Jay Crispin, und dann ist die Kacke ohnehin am Dampfen.
    Aber so oder so trägst du den Krieg damit endlich ins Lager des Feindes.
    ***
    Er rief seine Assistentin Sally an. Geriet an ihre Voicemail. Umso besser. In einem Ton tapfer ertragenen Leidens:
    »Sally, hier ist Toby. Dieser blöde Weisheitszahn spielt schon wieder verrückt. Ich konnte grade noch einen Termin in einer Stunde ergattern. Also werden sie bei der Vormittagsbesprechung leider ohne mich auskommen müssen. Und vielleicht kann Gregory mich bei dem NATO -Lunch vertreten? Entschuldigen Sie mich bei allen, ja? Ich melde mich wieder. Tut mir echt leid.«
    Als Nächstes die Kleiderfrage: Was trägt ein rühriger Provinzjournalist bei einem Ausflug nach London? Er entschied sich für Jeans, Turnschuhe, einen dünnen Anorak und dazu – für die ganz authentische Note – noch zwei Kugelschreiber, als Ergänzung zu dem Spiralblock von seinem Schreibtisch.
    Aber als er das BlackBerry einstecken wollte, fiel ihm ein, dass Jebs Aufnahmen, die er damit abfotografiert hatte, ja von Shorty kamen, und er zog die Hand wieder zurück.
    Besser ohne.
    ***
    Das Golden Calf Café & Patisserie lag in der Mitte der High Street, zwischen einem Halal-Schlachter und einem koscheren Feinkostgeschäft. In seinen rosa erleuchteten Schaufenstern machten sich Geburtstags- und Hochzeitstorten den Platz mit Baisers streitig, die so groß wie Straußeneier waren. Ein Handlauf aus Messing teilte das Café vom Laden ab. So viel sah Toby von der anderen Straßenseite, ehe er in eine Nebenstraße einbog, um von dort seine Bestandsaufnahme der geparkten Autos, Lieferwagen und durcheinanderwimmelnden vormittäglichen Einkäufer zu Ende zu bringen.
    Als er sich dem Café neuerlich näherte, diesmal auf derselben Straßenseite, bestätigte sich sein Eindruck von vorhin: Im Cafébereich saßen so früh am Tag keine Kunden. Er wählte den Leibwächtertisch, wie er bei den Ausbildern gern hieß – hinten im Eck, mit Blick zum Eingang –, bestellte einen Cappuccino und wartete.
    Im Ladenbereich jenseits des Messinggeländers schoben sich plastikzangenbewehrte Kunden den Tresen entlang, luden Berge von Backwerk in Pappschachteln und stellten sich damit an der Kasse an. Von ihnen war definitiv keiner Shorty Pike, dem Jeb nur bis zum Nabel gereicht hatte – aber er kam

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