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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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von unten und hat ihm in die Kniekehlen gedroschen und auf dem Weg runter die Nase gebrochen .
    Aus elf wurde zehn nach elf. Er hat kalte Füße gekriegt, dachte Toby. Sie haben ihn als Gesundheitsrisiko eingestuft, und er sitzt in seinem Bus, eine Kugel im Kopf und die Waffe in der falschen Hand.
    Ein muskelbepackter Glatzkopf mit pockennarbigem olivfarbenem Teint und kleinen runden Augen spähte begehrlich durchs Fenster, erst auf die Torten und Kuchen, dann zu Toby hin, dann wieder auf die Torten. Blinzelfrequenz gleich null, Ringerschultern. Smarter dunkler Anzug, keine Krawatte. Jetzt ging er weiter. Ein Kundschafter? Oder hatte er mit einer Cremeschnitte geliebäugelt, sie sich um seiner Linie willen aber verkniffen? Dann merkte Toby, dass Shorty neben ihm saß. Und dass Shorty offenbar die ganze Zeit über in der Toilette an der Rückwand des Cafés gewartet hatte, worauf Toby eigentlich selbst hätte kommen können. Dumm gelaufen.
    Er wirkte größer als seine Einsneunzig, wahrscheinlich, weil er so aufrecht saß, die enormen Pranken im leichten Winkel vor sich auf dem Tisch. Er hatte gegeltes schwarzes Haar, das hinten und an den Seiten sehr kurz geschoren war, und hollywoodreife Backenknochen mit einem eingebauten Dauergrinsen. Seine dunkle Haut glänzte so stark, als hätte er sie nach dem Rasieren mit Seife und Nagelbürste geschrubbt. An seinem Nasenrücken war eine kleine Kerbe, vielleicht ja von Jebs Schlag. Die Taschen auf seinem scharf gebügelten Jeanshemd waren vorschriftsmäßig zugeknöpft, in einer zeichneten sich die Zigaretten ab, aus der anderen lugte ein Kamm.
    »Sie sind Pete, stimmt’s?«, fragte er aus dem Mundwinkel.
    »Und Sie sind Shorty. Was darf ich Ihnen bestellen, Shorty? Kaffee? Tee?«
    Shorty zog die Brauen hoch und blickte sich gewollt langsam im Café um. Toby fragte sich, ob er diese Theatralik eigens für ihn hervorkehrte oder ob man so wurde, wenn man groß und narzisstisch war.
    Und während er sich das fragte, sah er – oder meinte zu sehen –, wie der muskelbepackte Glatzkopf von vorhin, der so angelegentlich die Cremeschnitten beäugt hatte, betont beiläufig am Schaufenster vorbeiging.
    »Ich sag Ihnen was, Pete«, sagte Shorty.
    »Ja?«
    »Ich fühl mich hier offen gestanden ein bisschen unwohl. Wenn’s Ihnen gleich ist – ich wäre lieber wo, wo wir mehr unter uns sind. Weg vom Getümmel.«
    »Was immer Sie wollen, Shorty. Sie bestimmen.«
    »Und Sie versuchen keine Tricks, oder? Da wartet jetzt nicht ein Fotograf um die Ecke oder so?«
    »Ich bin so allein, wie Sie mich hier sehen, Shorty. Sie sagen, wo’s langgeht« – während er zusah, wie sich auf Shortys Stirn ein großer, runder Schweißtropfen nach dem anderen bildete und wie seine Hand zitterte, als sie an der Jeanstasche nach einer Zigarette zupfte und dann leer zum Tisch zurückkehrte. Entzugserscheinungen? Oder hatte der Mann nur eine harte Nacht hinter sich?
    »Also, ich hätte meinen neuen Audi um die Ecke stehen, Kombi sogar. Ich hab früh geparkt, sicher ist sicher. Wir könnten also, ich meine, was wir machen könnten, wir könnten für unser Gespräch irgendwo hinfahren, in den Freizeitpark oder so, wo wir nicht so gesehen werden, weil ich ja doch ein bisschen auffalle. Ein vollständiger und offener Meinungsaustausch, wie das immer heißt. Für Ihre Zeitung. Den Argus , richtig?«
    »Richtig.«
    »Ist das eine große Zeitung oder bloß ein Lokalblatt – oder ist sie eher, na ja, landesweit, Ihre Zeitung?«
    »Lokal, aber wir haben auch eine Online-Ausgabe«, sagte Toby. »Alles in allem also eine ganz ordentliche Auflage.«
    »Ah ja. Nicht schlecht. Es macht Ihnen also nichts aus?« – geräuschvolles Schniefen.
    »Was jetzt?«
    »Wenn wir nicht hier sitzen?«
    »Natürlich nicht.«
    Toby ging zum Tresen, um seinen Cappuccino zu bezahlen, was einen Moment dauerte, und Shorty stand hinter ihm wie der nächste Kunde in der Schlange, und der Schweiß strömte ihm nur so übers Gesicht.
    Aber als Toby an der Kasse fertig war, ging Shorty vor ihm her zum Ausgang wie ein Gorilla vor seinem Gangsterboss, die langen Arme leicht abgespreizt, um Platz zu schaffen.
    Und als Toby aus der Tür trat, wartete Shorty schon, um ihn durch das Gedränge zu lotsen, aber nicht, bevor ein Blick nach links Toby erneut den muskulösen Glatzkopf mit der Schwäche für Naschwerk gezeigt hatte, der jetzt mit dem Rücken zu ihm stand, ganz vertieft ins Gespräch mit zwei anderen Männern, die ähnlich konsequent

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