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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Haupteingang des Ministeriums abgegeben, laut Eingangsstempel heute Nachmittag um drei. Es forderte Toby in fettgedruckter Computerschrift auf, sich zu einem ihm genehmen Zeitpunkt zwischen jetzt und Mitternacht im Stammhaus des Unternehmens in Canary Wharf einzufinden.
    Unterzeichnet war es von G. Oakley, Senior Vice President.
    ***
    Ein frischer Nachtwind von der Themse her tat sein Bestes, um den Zigarettengestank aus den pseudo-römischen Arkaden und faschistoiden Eingangsportalen zu blasen. Im kalten Licht spätgotischer Lampen glitten Jogger in roten T-Shirts, schwarzgewandete Sekretärinnen und schnell ausschreitende Männer mit Bürstenschnitt und papierdünnen schwarzen Aktenmappen aneinander vorbei wie Masken in einem makabren Tanz. Vor jedem erleuchteten Büroturm, an jeder Straßenecke nahmen breitschultrige Wachmänner in Anoraks Toby ins Visier. Aufs Geratewohl näherte er sich einem und zeigte ihm den Briefkopf.
    »Müsste Canada Square sein, Kumpel. Glaub ich jedenfalls, ich bin hier erst seit einem Jahr« – mit einer lauten Lachsalve, die Toby die Straße entlangfolgte.
    Er ging unter einer Fußgängerbrücke hindurch und fand sich in einer Einkaufspassage wieder, die den Nachtshoppern mit goldenen Uhren, Kaviar und Villen am Comer See winkte. An einem Kosmetiktisch lud ihn ein schönes Mädchen mit nackten Schultern ein, ihr Parfum zu riechen.
    »Sagen Sie, Sie wissen nicht zufällig, wo Atlantis House ist?«
    »Kaufen, ja?«, fragte sie gewinnend mit polnischem Akzent.
    Vor ihm ein Hochhaus in Festbeleuchtung. Vor dem Eingang ein säulengestützter Vorbau. Der Boden darunter mit Goldmosaik ausgelegt, ein freimaurerischer Strahlenkranz. Um die blaue Kuppel das Wort Atlantis . Und an der Rückwand des Kuppelbaus breite, mit eingravierten Walen verzierte Doppelglastüren, die seufzend aufglitten, als Toby herankam. Ein stämmiger Mann hinter einem Empfangstisch aus behauenem Stein reichte ihm eine Plastikkarte an einem Clip aus Chrom, auf der sein Name stand.
    »Der Lift in der Mitte, funktioniert ohne Knopfdruck. Einen schönen Abend wünsche ich, Mr. Bell.«
    »Danke, gleichfalls.«
    Der Lift schwebte nach oben, hielt und entließ ihn in ein sternenerhelltes Amphitheater voll weißer Mauerbögen mit einem Reigen seliger Nymphen aus weißem Gips. Vom Zenit des gewölbten Firmaments wuchs eine Traube leuchtender Muscheln herab. Darunter – aber für Toby sah es aus, als käme er aus ihr heraus – hielt ein Mann energischen Schritts auf ihn zu. Mit dem Licht im Rücken wirkte er groß, bedrohlich beinahe, aber im Näherkommen schrumpfte er, bis vor ihm Senior Vice President Giles Oakley stand: auf dem Gesicht das kraftvolle Lächeln des Erfolgsmenschen, der Körper mit dem Feinschliff ewiger Jugend nun, die Haare nachgedunkelt, das Gebiss makellos.
    »Toby, mein Lieber, welche Freude! Und so kurzfristig auch noch. Ich bin gerührt und geehrt.«
    »Schön, Sie zu sehen, Giles.«
    ***
    Ein klimatisierter Raum ganz aus Rosenholz. Keine Fenster, keine frische Luft, keine Tageszeiten. Als wir meine Großmutter beerdigt haben, saßen wir mit dem Bestatter in fast dem gleichen Raum. Ein Rosenholzschreibtisch mit Chefsessel. Und eine Stufe tiefer, für die Normalsterblichen, ein Couchtisch aus Rosenholz und zwei Lederstühle mit Rosenholzarmlehnen. Auf dem Tisch ein Rosenholztablett für den sehr alten Calvados in seiner nicht mehr ganz vollen Flasche. Bisher hatten sie einander noch kaum ins Gesicht gesehen. Giles hielt nichts von Blickkontakt beim Verhandeln.
    »Und, Toby, was macht die Liebe?«, fragte er leichthin, als Toby den Calvados ablehnte und zusah, wie Oakley sich einen Schuss eingoss.
    »Alles gut, danke. Wie geht es Hermione?«
    »Und der große Roman? Fix und fertig?«
    »Weshalb bin ich hier, Giles?«
    »Aus demselben Grund, aus dem Sie gekommen sind, würde ich doch sagen.« Oakley quittierte Tobys unziemliches Vorpreschen mit einem missvergnügten kleinen Schmollmund.
    »Und was für ein Grund soll das sein?«
    »Eine gewisse Geheimoperation, die vor drei Jahren angedacht, aber, wie wir beide wissen, dankenswerterweise nie exekutiert worden ist. Könnte das der Grund sein?«, erkundigte sich Oakley in spaßhaftem Ton.
    Aber sein Blick hatte die alte Verschmitztheit verloren. Die früher so lebhaften Fältchen um Mund und Augen zeigten in dauerhafter Abwehr nach unten.
    »Sie meinen Wildlife?«, sagte Toby.
    »Wenn Sie partout mit Staatsgeheimnissen um sich werfen wollen, ja,

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