Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Kindnichts.
Für einen Soldaten, der seine Pflicht getan hatdas Aus.
Für Paulder Ritterschlag.
Kit las es, starrte dann auf das Ding – kein Schriftstück mehr jetzt, sondern ein Hassobjekt. Dann legte er es auf den Tisch, zwischen die Platzkärtchen, und studierte es noch einmal, falls er etwas übersehen hatte. Nein.
»Das ist schlicht Unsinn«, erklärte er mit fester Stimme. »Der Mann ist ganz offensichtlich krank.«
Dann vergrub er das Gesicht in den Händen und wiegte den Kopf hin und her und flüsterte nach einer Weile: »Lieber Gott.«
***
Doch wer war dieser Master Bailey, den sie alle feierten?
Ein aufrechter Sohn unseres Dorfes, ging die Sage, ein Bauernjunge, der am Ostertag zu Unrecht als Schafdieb gehängt worden war, weil es einem bösen Assisenrichter in Bodmin so gefallen hatte.
Nur war Master Bailey gar nicht richtig gehängt worden, oder zumindest nicht zum Tode, so jedenfalls wollte es das berühmte Bailey-Pergament in der Sakristei wissen. Die Dorfleute waren so zornentbrannt über das ungerechte Urteil, dass sie ihn in tiefer Nacht herunterschnitten, jawohl, und mit bestem Apfelschnaps wiederbelebten. Und sieben Tage später bestieg der junge Master Bailey seines Vaters Pferd und ritt hinüber nach Bodmin, wo er mit einem Hieb seiner Sichel dem bösen Richter glatt den Kopf abschlug, und recht hatte er!
Alles Blödsinn, sagte Kit, der Hobbyhistoriker, der sich in ein paar müßigen Stunden einen Spaß daraus gemacht hatte, der Geschichte nachzugehen: sentimentales viktorianisches Gewäsch der übelsten Sorte, ohne den Hauch eines Beweises in den Archiven.
Dennoch blieb es eine Tatsache, dass über Gott weiß wie viele Jahre hinweg, bei Regen wie bei Sonnenschein, im Frieden wie im Krieg, die guten Leute von St. Pirran zusammengekommen waren, um einen außergerichtlichen Tötungsakt zu feiern.
***
In der darauffolgenden Nacht, während er hellwach neben seiner schlafenden Frau lag, hin- und hergerissen zwischen Empörung, Selbstzweifeln und Besorgnis um einen einstigen Waffengefährten, der, weshalb auch immer, so tief gesunken war, grübelte Kit über seinen nächsten Schritt nach.
Der Abend hatte nicht mit der Dinnerparty geendet – wie auch? Nach ihrem Scharmützel im Ankleidezimmer war ihnen gerade noch Zeit zum Umziehen geblieben, ehe in schöner Pünktlichkeit die Autos der Ordensträger vorfuhren. Aber Suzanna hatte ihn nicht im Zweifel darüber gelassen, dass die Feindseligkeiten später wiederaufgenommen werden würden.
Emily, auch in den besten Zeiten kein Freund formeller Anlässe, hatte sich ausgeklinkt: irgendeine Fete im Gemeindehaus, bei der sie eventuell vorbeischauen wollte, denn in London musste sie ja erst wieder morgen Abend sein.
Während der Tafel hatte Kit – den das Wissen, dass seine Welt am Auseinanderbrechen war, zu teils etwas bizarren Höchstleistungen trieb – die Frau Bürgermeister zu seiner Rechten und die Frau Gemeinderat zu seiner Linken mit Anekdoten über Leben und Leiden eines königlichen Sendboten in einem Karibikparadies in Atem gehalten:
»Mein Ritterschlag? Reiner Dusel. Mit Verdienst hatte das rein gar nichts zu tun. Mehr ein Parade-Unfall, sozusagen. Ihre Majestät war in der Region und verfiel auf die Idee, bei unserem dortigen Premier hereinzuschneien. Es war mein Revier, und so, bingo, hab ich den Titel dafür gekriegt, dass ich zur rechten Zeit am rechten Ort war. Und du , Liebling« – indem er versehentlich sein Wasserglas zu fassen bekam und es über eine Batterie von Paul-Storr-Kerzenhaltern hinweg Suzanna entgegenstreckte –, »wurdest die bildschöne Lady P., die du für mich sowieso schon seit jeher warst.«
Doch selbst während er dieses verzweifelte Bekenntnis ablegt, hört er nicht seine eigene Stimme, sondern die von Suzanna:
Ich will nur das wissen, Kit: Mussten eine unschuldige Frau und ihr Kind sterben? Wurden wir in die Karibik verfrachtet, damit du den Mund hältst? Und hat dieser arme Soldat recht mit dem, was er sagt?
Und richtig, kaum ist Mrs. Marlow gegangen und das letzte Ordensträgerauto die Einfahrt hinabgerollt, steht Suzanna kerzengerade in der Diele und wartet auf ihre Antwort.
Und Kit muss sie sich die ganze Zeit über unbewusst zurechtgelegt haben, denn sie strömt aus ihm hervor wie die amtliche Verlautbarung eines Foreign-Office-Sprechers – und vermutlich klingt sie für Suzanna auch ungefähr so glaubwürdig:
»Das ist mein letztes Wort zu dem Thema, Suki. Mehr darf ich dir nicht
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