Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Crispin ihn instruiert, ohne zu erwähnen, wo sein Flieger denn herkam.
Und richtig, als Kit Crispins Namen murmelte, da hatte der Majordomus im schwarzen Anzug, der dastand wie ein gefeierter Dirigent an seinem Pult, tatsächlich gelächelt:
»Da haben Sie ja einen weiten Weg hinter sich, Sir Christopher. Cornwall, das ist ein ganzes Ende. Was darf ich Ihnen denn zur Stärkung bringen lassen, auf Rechnung von Mr. Crispin?«
»Einen Tee, und ich zahle selbst. Bar«, hatte Kit, der nicht vorhatte, sich kaufen zu lassen, steif erwidert.
Aber einen Tee bestellt man im Connaught nicht einfach so. Um an seinen Tee zu kommen, muss Kit den Chic & Shock Afternoon Tea nehmen und hilflos zuschauen, während ein Ober Kuchen, Teegebäck und Gurkensandwiches für fünfunddreißig Pfund plus Trinkgeld aufträgt.
Er wartet.
Mehrere potentielle Crispins kommen herein, ignorieren ihn, begrüßen bereits Wartende oder setzen sich ihrerseits zum Warten hin. Aufgrund der kraftvollen, autoritären Stimme am Telefon hält er instinktiv nach einem Mann mit entsprechendem Äußeren Ausschau: breite Schultern, selbstbewusstes Auftreten, fester Schritt. Er ruft sich Elliots überschwengliches Loblied auf seinen Arbeitgeber ins Gedächtnis. Er überlegt in nervösem Übermut, welch irdische Gestalt solche Unmengen an Führungsstärke und Charisma wohl annehmen können. Und er ist nicht allzu enttäuscht, als ein eleganter, mittelgroßer Mittvierziger in gutgeschnittenem grauem Nadelstreifenanzug ohne Umschweife neben ihm Platz nimmt, ihm die Hand reicht und gedämpft sagt: »Ich glaube, ich bin Ihr Mann.«
Und das Erkennen, wenn es als solches bezeichnet werden kann, ist ein unmittelbares. Jay Crispin ist so englisch und geschmeidig wie seine Stimme. Sein Gesicht ist glattrasiert, sein dichtes, gepflegtes Haar nach hinten gekämmt, sein Lächeln von souveräner Gelassenheit – »parkettsicher«, hätte Kits Mutter gesagt.
»Kit, ich bedauere unendlich, dass Ihnen das passieren musste«, erklärt die wohlklingende Stimme mit einer Aufrichtigkeit, die Kit ans Herz geht. »Was für eine schreckliche Zeit Sie durchgemacht haben müssen. Mein Gott, was trinken Sie denn da, doch nicht etwa Tee?« Und während auch schon ein Ober herbeigeglitten kommt: »Sie sind der Whisky-Typ, das sehe ich. Die haben hier einen recht anständigen Macallan. Räumen Sie dieses ganze Zeug weg, ja, Luigi? Und bringen Sie uns zwei achtzehnjährige. Große. Eis? – kein Eis. Soda und Wasser dazu.« Und als der Ober abzieht: »Und tausend Dank, dass Sie den Weg auf sich genommen haben. Es tut mir nur so unglaublich leid, dass es überhaupt dazu kommen musste.«
***
Nie und nimmer hätte Kit die Möglichkeit eingeräumt, dass er sich von Jay Crispin angezogen fühlte oder dass der bezwingende Charme des Mannes sein Urteil in irgendeiner Form getrübt haben könnte. Nein, er bestand darauf: Er hatte von Beginn an tiefstes Misstrauen gegen ihn gehegt und war es die ganze Begegnung hindurch nicht losgeworden.
»Und das Leben im finstersten Cornwall bekommt Ihnen?«, erkundigte Crispin sich liebenswürdig, während sie auf ihre Drinks warteten. »Keine Sehnsucht nach den Lichtern der Großstadt? Ich würde ja schon nach zwei Wochen am Rad drehen. Aber das ist auch das Problem bei mir, sagen alle: unheilbarer Workaholic. Keinerlei innere Ressourcen.« Und nach diesem kleinen Geständnis: »Und mit Suzanna geht es weiter bergauf, höre ich?« – die Stimmlage perfekt für Persönliches.
»Ihr geht’s viel, viel besser, danke, ja. Das Landleben ist genau das Richtige für sie«, antwortete Kit unbeholfen, aber was sollte er auch sagen, wenn der Kerl so fragte? Schroff versuchte er den Spieß umzudrehen:
»Und wo sind Sie zu Hause? Hier in London oder – na ja, in Houston ja wohl?«
»Guter Gott, London, wo sonst? Der einzig lebenswerte Ort, wenn Sie mich fragen – außer ja anscheinend Nord-Cornwall.«
Der Kellner kam zurück. Schweigen, während er nach Crispins Anweisungen einschenkte.
»Cashews, Häppchen?«, fragte Crispin Kit fürsorglich. »Oder was ein bisschen Solideres nach der langen Fahrt?«
»Danke, ich brauche nichts« – bloß sich nicht einlullen lassen!
»Dann legen Sie los«, sagte Crispin, als der Kellner weg war.
Kit legte los. Und Crispin lauschte, seine hübsche Stirn in konzentrierte Falten gelegt, unter verständigem Nicken, das besagte, dass er mit der Geschichte vertraut war, sie vielleicht sogar schon mit eigenen Ohren gehört
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