Empfindliche Wahrheit (German Edition)
hatte.
»Und dann, am selben Abend, kam das hier, sehen Sie«, schloss Kit, und indem er einen feuchten braunen Umschlag aus den Tiefen seines Anzugs zum Vorschein brachte, reichte er Crispin den Zettel, den Jeb aus seinem Block gerissen hatte. »Wenn Sie das einfach mal lesen «, fügte er um des größeren Nachdrucks willen hinzu und sah Crispin die gepflegte Hand danach ausstrecken (doppelte Manschetten aus cremefarbener Seide, goldgeprägte Manschettenknöpfe), um sich dann damit zurückzulehnen, das Papier nun in beiden Händen, und es zu studieren, mit der Seelenruhe eines Antiquars, der ein Dokument auf Wasserzeichen untersucht.
Und sah er schuldbewusst aus, Liebling? Sah er schockiert aus? Er muss doch irgendwie geschaut haben!
Nun, Kit zumindest konnte Crispin nichts wie auch immer Geartetes ansehen. Die ebenmäßigen Züge verrieten keine Bestürzung, die Hände zitterten nicht, er schüttelte nur traurig den adretten Kopf und sagte mit seiner wohlmodulierten Stimme:
»Sie Armer, kann ich da nur sagen, Kit. Sie Armer, Armer. Was für eine durch und durch grauenhafte Situation. Und Ihre arme Suzanna erst. Schauerlich. Für sie muss es der Alptraum schlechthin gewesen sein. Ich meine, sie hat ja die Breitseite abgekriegt. Und das, ohne eine Ahnung zu haben, woher und warum, und fragen kann sie auch nicht. Dieses miese kleine Arschloch. Entschuldigen Sie. Himmel noch mal«, flüsterte er durch zusammengebissene Zähne.
»Und sie braucht dringend eine ehrliche Antwort«, legte Kit nach, fest entschlossen, sich den Wind nicht aus den Segeln nehmen zu lassen. »Egal, wie übel es ist, sie muss Bescheid wissen. Und ich auch. Sie lässt sich nicht ausreden, dass der Posten in der Karibik dazu dienen sollte, mir den Mund zu stopfen. Sie hat sogar – völlig unbeabsichtigt – unsere Tochter mit ihrer Idee angesteckt. Keine sehr angenehme Situation also, wie Sie sich sicher vorstellen können« – ermutigt durch Crispins anteilnehmendes Nicken –, »keine sehr schöne Art, in den Ruhestand zu treten. Da glaubt man, man hätte seinem Land auf ehrenvolle Weise gedient, und plötzlich muss man entdecken, dass alles nur eine Scharade war, um – ja, wozu um den heißen Brei herumreden – um einen Mord zu übertünchen« – Pause, während ein Kellner mit einem Wagen an ihnen vorbeischob, auf dem eine Geburtstagstorte mit einer einzelnen brennenden Kerze darauf stand. »Dazu noch ein erstklassiger Soldat, dessen gesamtes Leben in Trümmern liegt, höchstwahrscheinlich jedenfalls. So was nimmt Suzanna nicht auf die leichte Schulter – sie ist ja sowieso jemand, der sich mehr um andere sorgt als um sich selbst. Was ich damit sagen will: Keine Ausflüchte bitte, wir müssen die Fakten erfahren. Ja oder nein. Ohne Wenn und Aber. Wir beide. Wir alle. Das ginge jedem so. Tut mir leid.«
Was tat ihm leid? Dass seine Stimme schwankte vor Zorn und ihm das Blut ins Gesicht stieg? Kein bisschen leid tat es ihm! Sein Kampfgeist war endlich geweckt, und so sollte es sein. Suki würde ihn anfeuern. Em sowieso. Und der Anblick dieses schmucken Jay Crispin, der da so selbstzufrieden nickte unter seinem hübschen welligen Haarschopf, hätte die beiden ebenso in Rage versetzt, wie er Kit langsam in Rage versetzte.
»Wo ich ja auch noch der Bösewicht in dem Stück bin«, ergänzte Crispin tapfer im Ton eines Mannes, der die Anklagepunkte gegen sich zusammenfasst. »Ich bin der Schuft, der den ganzen Plan ausgeklügelt hat – der einen Haufen billiger Söldner angeheuert, Langley und unsere eigenen Spezialeinheiten durch einen Trick ins Boot geholt und so einen der größten operativen Fehlschläge aller Zeiten zu verantworten hat. Richtig? Und ich habe den Job einem unfähigen Einsatzleiter übertragen, der die Nerven verloren hat, weshalb seine Leute eine unschuldige Mutter und ihr Kind mit Kugeln durchsiebt haben. Deckt es das in etwa ab, oder habe ich irgendetwas zu erwähnen vergessen?«
»Also hören Sie, das hab ich so nicht gesagt …«
»Nein, Kit, das war auch nicht nötig. Jeb hat es gesagt, und Sie glauben ihm. Sie brauchen es gar nicht abzumildern. Ich habe jetzt drei Jahre damit gelebt, und ich werde auch drei weitere Jahre überstehen« – das alles ohne eine Spur von Selbstmitleid, jedenfalls hörte Kit keines heraus. »Wobei Jeb nicht der Einzige ist, das muss man der Fairness halber sagen. In meiner Branche sehen wir die ganze Bandbreite: Männer mit posttraumatischem Stresssyndrom, echt oder
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