Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Garten. An der Wand stand ein frisch bezogenes Einzelbett. Auf einem Schreibtisch lagen Kanzleipapier und ein paar Kugelschreiber bereit.
»Scotch in der Bibliothek, sobald Sie mit dem Nasepudern fertig sind«, verkündete Kit von der Türschwelle her. »Und dann auf ein paar Schritte raus, wenn Sie’s noch aushalten. Ohne Frauen redet sich’s doch leichter«, fügte er unbeholfen hinzu. »Vorsicht in der Dusche, das Wasser kann verflucht heiß werden.«
Toby schloss die Badezimmertür hinter sich und wollte sich schon ausziehen, da erhoben sich in seinem Zimmer heftige Stimmen, und als er herausspähte, stand vor dem Fernseher Emily in Trainingsanzug und Joggingschuhen, die Fernbedienung in der Hand, und zappte durch die Kanäle.
»Mal kurz testen, ob’s funktioniert«, erklärte sie über die Schulter, ohne den Ton leiser zu stellen. »Wir sind hier auf Auslandsposten, müssen Sie wissen. Keiner darf mithören, was einer zum anderen sagt. Ganz abgesehen davon, dass Wände Ohren haben und wir keine Teppiche.«
Im Schutz des Getöses trat sie einen Schritt näher.
»Sind Sie anstelle von Jeb hier?« Sie sah ihm mitten ins Gesicht.
»Wem?«
»Jeb. J-E-B.«
»Nein. Nein, bin ich nicht.«
» Kennen Sie Jeb?«
»Nein. Ich kenne ihn nicht.«
»Mein Vater schon. Es ist sein großes Geheimnis. Wobei Jeb ihn aber Paul nennt. Er hätte letzten Mittwoch herkommen sollen. Aber er ist nicht aufgetaucht. Das hier war eigentlich sein Bett«, fügte sie hinzu, ohne die braunen Augen von ihm zu wenden.
Auf dem Bildschirm heizte ein Quizshow-Moderator seinen Kandidaten ein.
»Ich kenne keinen Jeb, und ich bin in meinem ganzen Leben keinem Jeb begegnet«, erwiderte Toby bedachtsam. »Ich heiße Toby Bell, und ich arbeite fürs Außenministerium.« Und nach einer sorgfältig austarierten Pause: »Aber ich bin auch eine Privatperson, was immer das heißt.«
»Und was sind Sie jetzt gerade?«
»Eine Privatperson. Gast in Ihrem Haus.«
»Aber Jeb kennen Sie trotzdem nicht?«
»Ich kenne keinen Jeb, weder als Ministerialbeamter noch privat. Ich dachte, das hätte ich klar gesagt.«
»Was machen Sie dann hier?«
»Ihr Vater möchte mich sprechen. Er hat mir noch nicht gesagt, weshalb.«
Ihr Ton verlor an Strenge, aber nur unwesentlich:
»Meine Mutter ist diskret bis zum Umfallen. Sie ist außerdem krank und kann Stress schlecht vertragen, was ungünstig ist, weil hier jede Menge davon herrscht. Deshalb meine Frage an Sie: Sind Sie hier, um die Sache besser zu machen, oder schlechter? Oder wissen Sie das auch nicht?«
»Ich fürchte, nein.«
»Weiß man im Ministerium, dass Sie hier sind?«
»Nein.«
»Aber am Montag wird man es wissen?«
»Das ist eine etwas voreilige Vermutung.«
»Inwiefern?«
»Weil ich erst hören muss, was Ihr Vater zu sagen hat.«
Jubelgeheul aus dem Fernseher. Jemand räumte eine Million Pfund ab.
»Sie reden heute Abend mit meinem Vater und fahren morgen Vormittag wieder. Ist das der Plan?«
»Vorausgesetzt, bis dahin ist alles besprochen.«
»In St. Pirran ist morgen Frühandacht. Meine Eltern sind um zehn in der Kirche fällig. Mein Vater ist Mesner oder Pedell oder so was. Wenn Sie sich verabschieden, bevor sie zur Kirche aufbrechen, könnten Sie noch dableiben, und wir könnten unsere Aufzeichnungen vergleichen.«
»Soweit mir das möglich ist, gerne.«
»Soll heißen?«
»Wenn Ihr Vater im Vertrauen mit mir reden möchte, muss ich dieses Vertrauen respektieren.«
»Und wenn ich im Vertrauen mit Ihnen reden möchte?«
»Dann würde ich dieses Vertrauen ebenso respektieren.«
»Um zehn Uhr also?«
»Um zehn.«
Kit wartete schon auf dem Flur, einen zweiten Anorak überm Arm:
»Stört Sie’s, wenn wir den Whisky auf nachher verschieben? Da draußen zieht’s zu.«
***
Sie stapften durch den triefenden Garten, Kit einen alten Spazierstock aus Eschenholz schwingend, Sheba dicht auf seinen Fersen; Toby watete in geborgten Gummistiefeln, die ihm zu groß waren, hinter ihnen drein. Sie folgten einem von Hasenglöckchen gesäumten Treidelpfad und überquerten eine windschiefe Brücke mit einem Schild: VORSICHT EINSTURZGEFAHR . Über einen Zauntritt aus Granitsteinen gelangten sie hinaus auf den offenen Hang. Beim Steigen blies ein Wind aus Westen ihnen Sprühregen ins Gesicht. Auf der Hügelkuppe gab es eine Bank, aber sie war zu nass, um sich darauf zu setzen, also standen sie einander mehr oder weniger gegenüber, die Lider gesenkt gegen den Regen.
»Passt es Ihnen hier
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