Empfindliche Wahrheit (German Edition)
tapferer Kerl mit psychischen und finanziellen Problemen, und in seinem Kopf vermischt sich das alles. Das habe ich aus höchster Quelle.«
»Kit …«
»Was denn, Liebling? Sag’s mir. Bitte, Suzanna.«
»Mir fehlt nichts, Kit. Ich war nur ein bisschen müde und erschöpft. Jetzt geht es mir schon besser.«
Weint sie wirklich nicht? Suki? Nie im Leben. Nicht die gute alte Suki. Niemals. Eigentlich hatte er als Nächstes Emily anrufen wollen, aber bei näherer Überlegung konnte das auch bis morgen warten.
***
In seinem Club ging es hoch her. Alte Kumpel begrüßten ihn, gaben ihm einen aus, er revanchierte sich. Nierchen mit Speck am langen Tisch, Kaffee und Portwein in der Bibliothek, um den Abend abzurunden. Der Aufzug war außer Betrieb, aber er meisterte die vier Treppen ohne Zwischenfall und bewältigte auch den langen Korridor bis zu seinem Zimmer, ohne gegen irgendwelche fehlplazierten Feuerlöscher zu rumpeln. Dann freilich musste er mit der Hand an der Wand auf- und abfahren, um den Lichtschalter zu finden, der ihm hartnäckig auswich, und während er noch herumtastete, fiel ihm auf, dass die Luft im Zimmer ungewöhnlich frisch war. Hatte sein Vorgänger unter frecher Missachtung der Clubregeln im Zimmer geraucht und das Fenster offen gelassen, um seinen Frevel zu vertuschen? Wenn, dann hatte Kit nicht schlecht Lust, einen geharnischten Brief an den Sekretär zu schreiben.
Und als er den Schalter schließlich zu packen bekam und das Licht anknipste, erwartete ihn – in dem großen Kunstledersessel am offenen Fenster sitzend, im flotten dunkelblauen Blazer mit einem zum Dreieck gefalteten weißen Tüchlein in der Brusttasche – Jeb.
4
Der braune A 4 -Umschlag landete Samstagnacht um zwanzig nach drei mit dem Gesicht nach oben auf der Fußmatte von Toby Bells Wohnung in Islington, kurz nach seiner Rückkehr von einer spannenden, wenn auch stressreichen Zeit bei der britischen Botschaft in Beirut. Toby, augenblicklich alarmbereit, griff nach der Taschenlampe neben seinem Bett und schlich auf Zehenspitzen den Flur entlang, während aus dem Treppenhaus leise sich entfernende Schritte und dann das Zufallen der Haustür zu hören waren.
Der Umschlag war von der dicken, glatten Sorte und unfrankiert. PERSÖNLICH & VERTRAULICH stand in großen Druckbuchstaben in der linken oberen Ecke. Die Adresse, T. Bell, Esquire, Wohnung Nr. 2 , war in einer nach rechts geneigten, typisch englischen Schrift geschrieben, keiner, die er kannte. Die Klebelasche auf der Rückseite war mit einer doppelten Lage Tesafilm verstärkt, deren ausgefranste Enden um die Umschlagkante herumgebogen waren. Ein Absender fehlte, und falls das altmodische, voll ausgeschriebene Esquire dazu dienen sollte, Tobys Vertrauen zu gewinnen, erreichte es eher das Gegenteil. Der Inhalt des Umschlags schien flach zu sein – technisch gesehen also ein Brief, kein Päckchen. Aber Toby wusste aus seinen Sicherheitsschulungen, dass Briefbomben nicht dick sein müssen, um einem die Hände zu zerfetzen.
Wie das Ding um diese Uhrzeit durch seinen Briefschlitz hatte geschoben werden können, gab zumindest keine Rätsel auf: Am Wochenende blieb die Haustür manchmal die ganze Nacht unversperrt. Er atmete tief durch, hob den Umschlag auf und trug ihn, auf Armeslänge von sich weggestreckt, in die Küche. Nach nochmaliger Begutachtung unter dem Deckenlicht schlitzte er ihn seitlich mit einem Küchenmesser auf und zog einen zweiten, in derselben Handschrift adressierten Umschlag hervor: ZU HÄNDEN T . BELL , ESQ. , PERSÖNLICH .
Auch dieser zweite Umschlag war mit Tesafilm zugeklebt. Darin lagen zwei engbeschriebene blaue Bögen mit Briefkopf, undatiert.
The Manor
St. Pirran
Bodmin
Cornwall
Lieber Bell,
verzeihen Sie bitte die Nacht-und-Nebel-Aktion, mittels der ich Ihnen diese Epistel zukommen lasse. Meine Nachforschungen haben ergeben, dass Sie vor drei Jahren persönlicher Referent eines gewissen Staatsministers waren. Wenn ich Ihnen dazu noch sage, dass wir einen gemeinsamen Bekannten namens Paul haben, werden Sie die Natur meines Anliegens sicher erraten und begreifen, warum es mir nicht freisteht, an dieser Stelle deutlicher zu werden.
Meine derzeitige Lage ist so prekär, dass ich keine andere Möglichkeit sehe, als an Ihre Menschlichkeit zu appellieren und mich Ihrer Diskretion anzuvertrauen. Ich bitte Sie um ein persönliches Treffen zum frühesten Ihnen möglichen Zeitpunkt, statt in London lieber hier in der Abgeschiedenheit von
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