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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Ministeriums-Smalltalk blieb – wer wo am Ruder war und ob Washington endlich doch an das F. O. zurückfallen oder nur wieder an den nächsten Außenseiter gehen würde. Aber Kit verlor sehr rasch die Geduld, und bald hasteten sie durch den peitschenden Regen über den Hof, vom Strahl von Kits Taschenlampe durch einen Parcours aus Sandhaufen und Granitblöcken gelenkt, dann vorbei an ein paar leeren Pferdeboxen, aus denen es süß nach Heu roch, und weiter in die alte Sattelkammer mit ihren Ziegelmauern, hohen Bogenfenstern und dem eisernen viktorianischen Kamin, in dem schon die Scheite geschichtet waren.
    Vor dem Kamin eine zum Tisch umfunktionierte alte Wäschekommode. Und darauf ein Schreibblock, ein Sechser-Pack besten Bitters und eine Flasche J&B, noch ungeöffnet – nicht ihm zu Ehren, wie Toby vermutete, sondern zu Ehren von Jeb, dem Gast, der nie erschienen war.
    Kit war in die Hocke gegangen und hielt ein Streichholz an die Scheite.
    »Es gibt hier so eine Art Karneval oder Jahrmarkt«, teilte er dem Kamin mit und stocherte mit seinem langen Zeigefinger im Anmachholz. »Geht angeblich Gott weiß wie weit zurück. Ziemlicher Blödsinn.« Und nachdem er ein paarmal heftig in die Flämmchen gepustet hatte: »Nur dass Sie’s wissen: Ich bin im Begriff, jede gottverdammte Regel zu durchbrechen, an die ich jemals geglaubt habe.«
    »Dann sind wir doch schon zu zweit«, entgegnete Toby.
    Und ein Funke des Komplizentums sprang über.
    ***
    Toby ist ein guter Zuhörer, und die letzten Stunden hindurch hat er kaum gesprochen, nur ab und zu etwas Anteilnehmendes gemurmelt.
    Kit hat ihm seine Anwerbung durch Quinn und die Einweisung durch Elliot geschildert. Er ist als Paul Anderson nach Gibraltar geflogen und in dem verhassten Hotelzimmer auf und ab gestromert, saß mit Jeb, Shorty, Andy und Don in dem Unterstand oben am Berghang und hat seinen Augen- und Ohrenzeugenbericht über die Operation Wildlife und ihren angeblich so glorreichen Ausgang abgegeben.
    Er hat den Jahrmarkt beschrieben und dabei jedes seiner Worte auf die Goldwaage gelegt, hat jede noch so kleine Ungenauigkeit, bei der er sich ertappt hat, vor dem Weitersprechen sorgfältig berichtigt.
    Mit betonter Sachlichkeit – die ihn sichtlich hart ankommt – hat er die Entdeckung von Jebs handschriftlicher Quittung und ihren Effekt erst auf Suzanna und dann auf ihn selbst referiert. Er hat eine Schreibtischschublade aufgezogen und Toby mit einem schroffen »Da, sehen Sie« den windigen linierten Zettel hingeschoben.
    Er hat mit kaum verhohlenem Abscheu von seinem Treffen mit Jay Crispin im Connaught und von seinem Entwarnungsanruf bei Suzanna berichtet, der ihn im Rückblick mehr zu grämen scheint als alles andere an der Geschichte.
    Und jetzt kommt er zu seiner Begegnung mit Jeb im Club.
    »Woher wusste er, dass Sie dort übernachten?«, unterbricht ihn Toby mit gedämpftem Erstaunen, worauf über Kits gequälte Züge ein kurzes Aufleuchten huscht.
    »Der Kerl ist mir gefolgt«, sagt er stolz. »Fragen Sie mich nicht, wie. Den ganzen Weg von hier bis nach London. Hat beobachtet, wie ich in Bodmin in den Zug gestiegen bin, und ist selbst reingesprungen. Ist mir zum Connaught gefolgt, ist mir zu meinem Club gefolgt. Mit allen Schlichen «, fügt er ehrfürchtig hinzu, als wären Schliche für ihn etwas nie Dagewesenes.
    ***
    Das Gästezimmer im Club ist mit einem kargen Einzelbett ausgestattet, einem Waschbecken mit einem Handtuch von der Größe eines Einstecktüchleins und einem schmalbrüstigen Elektroofen, der mit Münzeinwurf betrieben wurde, bis eine historische Verwaltungsratsentscheidung festgelegt hat, dass die Heizkosten im Übernachtungspreis inbegriffen sein sollen. Die Dusche ist ein senkrecht gestellter Sarg aus weißem Plastik, den man in einen Kleiderschrank gezwängt hat. Kit hat erfolgreich den Lichtschalter gefunden, die Tür hinter sich aber noch nicht zugezogen. Stumm schaut er zu, wie Jeb aus dem Sessel aufsteht, zu ihm herüberkommt, ihm den Zimmerschlüssel aus der Hand nimmt, damit die Tür absperrt, ihn in der Tasche seines feschen Blazers verschwinden lässt und zu seinem Platz unter dem offenen Fenster zurückkehrt.
    Jeb befiehlt Kit, das Deckenlicht auszuknipsen. Kit gehorcht. Jetzt ist die einzige Lichtquelle der fahlorange Londoner Nachthimmel draußen vor dem Fenster. Jeb fordert Kits Handy an. Kit liefert es ab. Unbeirrt durch die Dunkelheit entfernt Jeb Akku und SIM -Karte, so geübt, als würde er ein Gewehr

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