Empfindliche Wahrheit (German Edition)
auseinanderbauen, und wirft die Teile aufs Bett.
»Ziehen Sie bitte die Jacke aus, Paul. Wie betrunken sind Sie?«
Kit bringt ein »nicht sehr« heraus. Er stößt sich an dem Paul , zieht die Jacke aber trotzdem aus.
»Duschen Sie ruhig, wenn Sie möchten, Paul. Aber lassen Sie die Tür offen.«
Kit möchte nicht, steckt aber den Kopf ins Waschbecken und spritzt sich Wasser ins Gesicht, rubbelt dann Gesicht und Haare mit dem Handtuch ab, als könnte er damit seinen Rausch wegschrubben, wobei der ohnehin rapide von ihm abfällt. In der Bedrängnis sinnt der menschliche Verstand in vielerlei Richtungen gleichzeitig, und der von Kit bildet da keine Ausnahme. Doch, sagt sich Kit, Jay Crispin hatte völlig recht, Jeb ist der redegewandte Psychopath, als den Crispin ihn hingestellt hat. Der Bürokrat in ihm versucht die beste Vorgehensweise in diesem alles andere als bewiesenen Fall auszuloten. Soll er auf Jeb eingehen, soll er Anteil nehmen, ihm medizinische Hilfe anbieten? Oder ihn irgendwie einlullen, um ihm dann – wohl bekomm’s! – den Schlüssel zu entwinden? Oder lieber gleich todesmutig zum offenen Fenster und der Feuerleiter stürzen? All das unterlegt mit fieberhaften Botschaften an Suzanna, Liebesschwüren, zerknirschter Abbitte, während er zugleich bei Emily um Tipps für den Umgang mit geisteskranken und möglicherweise gewalttätigen Patienten ansucht.
Doch Jebs erste Frage ist umso alarmierender, als sie ganz ruhig daherkommt:
»Was hat Ihnen Crispin über mich erzählt, Paul, vorhin im Connaught Hotel?«
Kit nuschelt irgendetwas davon, dass Crispin lediglich bestätigt hat, dass die Operation Wildlife ein uneingeschränkter Erfolg war, ein Spionage-Coup erster Güte, bei dem kein Tropfen Blut vergossen wurde.
»Alles so wie angegeben. Noch besser sogar« – und kühn setzt er hinzu: »Trotz dieser Unterstellungen auf Ihrer sogenannten Quittung für die Handtasche meiner Frau!«
Jeb sieht Kit an, ausdruckslos, fast als hätte er ihn nicht richtig gehört. Er wispert etwas in sich hinein, das Kit nicht versteht. Für das, was dann kommt, fehlen Kit bei allem Bemühen um Objektivität und Klarheit die Worte. Irgendwie ist der abgetretene Läufer plötzlich nicht mehr zwischen ihnen. Und im nächsten Moment hat er die Tür im Kreuz, einen Arm hinterm Rücken, Jebs Hand liegt um seine Kehle, und Jeb redet ihm ins Gesicht und hilft seinen Antworten nach, indem er ihm den Kopf gegen den Türrahmen rammt.
Kits Schilderung ist stoisch:
» Wumm. Kopf gegen den Türrahmen. Ich seh den roten Himmel draußen. ›Wie viel ist für Sie rausgesprungen, Paul?‹ Was meinen Sie damit?, frage ich. ›Geld, was denn sonst?‹ Nicht ein Penny, verdammt, sage ich ihm, Sie haben den Falschen erwischt. Wumm. ›Wie hoch war Ihr Anteil, Paul?‹ Wumm. Null, mein Anteil war null, verdammt, und nehmen Sie Ihre Pfoten weg. Wumm. Ich war mittlerweile ziemlich wütend. Er kugelte mir fast den Arm aus. Wenn Sie so weitermachen, sagte ich, brechen Sie mir noch meinen verdammten Arm, und davon hat keiner was. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß, also lassen Sie mich gefälligst los.«
Kits Stimme hebt sich in befriedigtem Staunen:
»Und das hat er. Mich losgelassen. Mich bohrend angeschaut, dann einen Schritt zurück gemacht, und ich bin an der Wand runtergerutscht wie ein Sack Mehl. Und er, wie so ein richtiger Samariter, hilft mir wieder auf die Füße.«
Und das war der Wendepunkt. Der Punkt, an dem Jeb zurück zu seinem Sessel ging und sich hineinfallen ließ wie ein geschlagener Boxer. Aber nun wird Kit zum Samariter. Denn Jeb zittert so komisch, und er gibt so merkwürdige Geräusche von sich.
»So eine Art Würgen. Würgen und Schluchzen. Ich meine« – verbittert –, »wenn Ihre Frau ihr halbes Leben lang krank war und Ihre Tochter Ärztin ist, dann sitzen Sie nicht einfach da und glotzen, oder? Dann tun Sie was.«
Und so fragt Kit Jeb, nachdem sie ein Weilchen in ihren jeweiligen Ecken gesessen haben, ob er ihm irgendetwas holen kann – zur größten Not, denkt er, auch wenn er das lieber für sich behält, muss er die gute Em , wie er sie beharrlich nennt, aufscheuchen, damit sie in der nächsten Nachtapotheke anruft und ein Rezept durchgibt. Aber Jeb schüttelt nur den Kopf, steht auf, lässt den Zahnputzbecher mit Wasser volllaufen, bietet Kit davon an, trinkt selbst und setzt sich wieder in seine Ecke.
Etwas später – einige Minuten vielleicht, schätzt Kit, in denen keiner von ihnen zu
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