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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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jemand sich mit Elliots Leuten in die Wolle kriegt, dann bin ich das.
    Ich erzähle es in Zeitlupe, weil ich es so in Erinnerung habe«, erklärt Jeb entschuldigend. Schweißperlen laufen ihm übers Gesicht wie Tränen. »Ein Schritt, dann der nächste. Alles voneinander abgesetzt. So hab ich es in Erinnerung. Don meldet sich. Er hat ein Geräusch gehört. Jemand, der sich zwischen den Steinen unter der Treppe versteckt, meint er. ›Geh auf keinen Fall runter, Don‹, sage ich ihm. ›Bleib, wo du bist, Don, ich komm zu dir.‹ Der Funkkontakt ist eine mittlere Katastrophe, offen gestanden. Alles läuft über Elliot. ›Wir haben da vielleicht was, Elliot‹, sage ich ihm. ›Außentreppe Haus sieben. Unten drunter.‹ Botschaft angekommen und aus. Don steht oben Wache, zeigt mit dem Daumen runter.«
    Kits Daumen machte die Geste nach, gleichsam ohne Kits Zutun, während er den Flammen Jebs Geschichte erzählte.
    »Also geh ich die Außentreppe runter. Eine Stufe, Pause. Noch eine Stufe, Pause. Solider Beton, keine Lücken. Die Treppe hat einen Absatz, wo sie so eine Art Knick macht. Und vor mir auf den Felsen sehe ich sechs bewaffnete Männer, vier platt auf dem Bauch und zwei kniend, und dazu noch zwei in dem Schlauchboot hinter ihnen. Und alle haben sie ihre Waffe im Anschlag, jeder Einzelne von ihnen, Halbautomatik mit Schalldämpfer. Und unter mir – direkt unter meinen Füßen – höre ich so ein Wetzen oder Scharren, wie von einer großen Ratte. Und dazu eine Art Fiepen. Kein richtiger Schrei, unterdrückt eher, wie jemand, der sich nicht zu schreien traut. Und ich weiß nicht – und werd’s auch nie wissen –, ob das die Mutter war oder das Kind. Gut, von denen brauch ich auch keinen zu fragen. Zählen konnte ich die Kugeln nicht. Aber hören kann ich sie noch, wie dieses Dröhnen innen im Kopf, wenn einem ein Zahn rausgerissen wird. Und dann liegt sie da, tot. Eine junge Muslimin mit brauner Haut in einem Hidschab, eine Illegale aus Marokko wahrscheinlich, die sich in den leeren Häusern versteckt hat und von Freunden durchgefüttert wurde. Von Kugeln durchsiebt, während sie ihre kleine Tochter noch von sich wegzustrecken und aus der Schusslinie zu halten versuchte, das kleine Mädchen, dem sie das Essen gemacht hatte. Das Katzenessen, wie ich dachte, weil es auf dem Boden stand. Wenn ich meinen Verstand besser gebraucht hätte, wäre mir klar gewesen, dass es ein Kind sein muss, nicht wahr? Dann hätte ich sie vielleicht retten können. Und die Mutter auch. Sie lag auf den Knien, wie vornübergeworfen von den Kugeln, die sie auf sie abgefeuert hatten. Und ein Stück vor ihr, außer Reichweite, das kleine Mädchen. Ein paar von Elliots Männern schauten einfach bloß verdattert. Einer spreizte die Finger vorm Kopf, wie wenn er sich das Gesicht abreißen wollte. Und dann diese Stille, dass man denkt, gleich geht es los mit den Schuldzuweisungen, aber damit halten sie sich nicht auf. Sie sind keine Amateure – keine kompletten jedenfalls –, ihr Notfalldrill sitzt, das dann doch. So schnell, wie sie diese zwei Leichen im Schlauchboot und dann auf dem Mutterschiff hatten, hätten sie nicht mal Punter dort gehabt. Und Elliots Jungs alle mit, einer flinker als der andere.«
    Die beiden Männer fixieren sich über den Nachttisch hinweg, so wie jetzt Toby Kit fixierte, nur dass es nicht der Abglanz der Londoner Nacht war, der Kits starre Züge erhellte, sondern der Feuerschein in der Sattelkammer.
    »Wurde die Einheit von Elliot geführt?«, fragt Kit Jeb.
    Jeb schüttelt den Kopf. »Kein Amerikaner, verstehen Sie, Paul? Nicht immun. Nicht unantastbar. Elliot blieb draußen auf dem Schiff.«
    »Aber warum haben sie geschossen?«, fragte Toby schließlich.
    »Denken Sie etwa, das hätte ich ihn nicht gefragt?«, brauste Kit auf.
    »Doch, natürlich haben Sie gefragt. Was hat er gesagt?«
    Kit musste erst ein paarmal tief durchatmen, ehe er eine Version von Jebs Antwort wiedergeben konnte.
    »Selbstverteidigung«, sagte er dann bissig.
    »Sie meinen, sie war bewaffnet ?«
    »Nein, verdammt! Begreifen Sie denn nicht: Jeb hat drei Jahre an nichts anderes denken können. Sich die Schuld an allem gegeben. Hinter das Warum zu kommen versucht. Sie muss gemerkt haben, dass jemand da war, irgendetwas hat sie gesehen oder gehört, also hat sie das Kind genommen und unter ihrem Umhang versteckt. Er kann sich auch nicht erklären, wieso sie die Treppe hinuntergelaufen ist statt vor zur Straße. Er hat sich darüber

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