Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Tag und Nacht das Hirn zermartert. Vielleicht war ihr das Meer weniger unheimlich als das Landesinnere. Ihr Sack mit Essen war weggenommen worden, aber von wem? Oder sie hat das Bootsteam für Schleuser gehalten, für dieselben Leute, die sie nach Gibraltar gebracht hatten – falls sie auf dem Weg hergekommen war –, und sie dachte, jetzt bringen sie ihren Mann zu ihr, und wollte ihm entgegenlaufen. Sicher weiß er nur, dass sie die Treppe hinunterlief. Mit dem Kind als Ausbuchtung unter ihrem Umhang. Und was dachten Elliots Männer? Ein Selbstmordattentäter, der sie in die Luft jagen will. Also haben sie sie erschossen. Und dann das Kind erschossen, vor Jebs Augen. ›Ich hätte es verhindern können.‹ Das sagt der arme Kerl sich in jeder einzelnen seiner schlaflosen Nächte.«
***
Die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos trieben Kit an das Bogenfenster, durch das er, auf Zehenspitzen stehend, angestrengt hinausspähte, bis alles wieder im Dunkeln lag.
»Hat Jeb Ihnen erzählt, wie es mit ihm und seinen Leuten weiterging, nachdem Elliots Männer mit den Leichen zum Schiff zurückgekehrt waren?«, fragte Toby seinen Rücken.
»Chartermaschine nach Kreta, noch am selben Abend. Für die sogenannte Nachbesprechung. Die Amerikaner haben da offenbar einen riesigen Luftstützpunkt.«
»Nachbesprechung mit wem?«
»Ein paar Männern in Zivil. Gehirnwäsche träfe es wohl eher. Profis, mehr konnte er nicht sagen. Zwei Amerikaner, zwei Engländer. Keine Namen, keine Formalitäten. Der eine Amerikaner war so ein widerlicher kleiner Fettwanst mit einer affektierten Art, sagt Jeb. Ein warmer Bruder, meinte er. Das war der Allerschlimmste.«
Aber hochmusikalisch – und der Liebling der Vorzimmerdamen, dachte Toby.
»Sowie die britische Einheit in Kreta gelandet war, wurden sie getrennt«, fuhr Kit fort. »Jeb als der Anführer bekam die Spezialbehandlung. Der Fettwanst hat auf ihn eingeplärrt wie Hitler, sagt er. Ihm einzureden versucht, dass er sich alles nur eingebildet hat. Als das nicht wirkte, hat er ihm hunderttausend Dollar angeboten, damit er den Mund hält. Jeb hat ihm gesagt, er soll sie sich sonst wohin stecken. Er glaubt, dass er in einem eigenen Durchgangslager für inoffizielle Gefangene saß. Wo sie auch Punter hingebracht hätten, wenn die ganze Geschichte nicht ein einziger Beschiss gewesen wäre.«
»Und Jebs Waffengefährten?«, fragte Toby. »Shorty und die anderen. Was wurde aus denen?«
»Auf und davon. Jeb hat so eine Ahnung, dass Crispin ihnen ein Angebot gemacht hat, zu dem sie nicht nein sagen konnten. Er macht ihnen keinen Vorwurf. So einer ist er nicht. Fair bis dorthinaus.«
Kit versank in Schweigen, also schwieg Toby auch. Neuerliches Scheinwerferlicht strich über die Balken und verschwand.
»Und jetzt?«, fragte Toby dann.
»Jetzt? Nichts! Das große Schweigen. Jeb sollte letzten Mittwoch hierherkommen. Frühstück Punkt neun, und dann wollten wir uns an die Arbeit machen. Neun heißt bei ihm neun, hat er gesagt, nicht dass ich daran gezweifelt hätte. Er wollte in der Nacht fahren, weil das sicherer sei. Hat gefragt, ob er seinen Bus in der Scheune verstecken kann. Klar, hab ich ihm gesagt, und was er denn gern zum Frühstück hätte. Rühreier. Von Rühreiern könnte er gar nicht genug kriegen. Ich wollte die Frauen wegschicken, wir wollten uns unsere Rühreier machen und dann die Geschichte zu Papier bringen, seine Perspektive, meine Perspektive, in allen Einzelheiten. Ich sollte Sekretär, Lektor, Kopist sein, und wir wollten nicht eher aufhören, als bis wir fertig waren. Er redete viel von diesem Beweisstück, das er hatte. Was es war, sagte er nicht. Er machte ein großes Geheimnis daraus, also habe ich auch nicht gedrängt. Einen Mann wie Jeb drängt man nicht. Vielleicht wollte er es mitbringen, vielleicht auch nicht. Das habe ich so akzeptiert. Ich würde es für uns beide in Schriftform bringen, er würde es noch mal gegenlesen und dann unterschreiben, und meine Aufgabe sollte es sein, es so zu lancieren, dass die ganz oben Kenntnis davon bekamen. Das war der Deal. Wir haben uns die Hand drauf gegeben. Wir waren« – er brach ab, starrte finster in die Flammen – »mopsfidel«, vollendete er dann heftig und wurde rot dabei. »Kampfbereit. Aufgekratzt. Nicht nur er. Wir alle beide.«
»Weil?«, wagte Toby zu fragen.
»Weil wir endlich die gottverdammte Wahrheit ans Licht bringen würden, natürlich!«, blaffte Kit, trank einen langen Schluck Scotch und ließ
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