Empfindliche Wahrheit (German Edition)
Suzanna das übernimmt. Auf Kit reagiert sie derzeit ein bisschen kratzbürstig.
Suzanna ruft Emily auf dem Handy an, spricht auf ihre Mailbox.
Mittags hat Emily schon zweimal zurückgerufen, mit folgendem Erkenntnisstand: Ja, ein Dr. Joachim Costello hat vor kurzem mit einem Zeitvertrag in der psychiatrischen Abteilung in Ruislip angeheuert, aber er stammt aus Portugal, und bei seiner Fortbildung handelt es sich um einen Englischkurs. Ob ihr Dr. Costello portugiesisch geklungen habe?
»Nein, hat sie verdammt noch mal nicht!«, wiederholt Kit temperamentvoll die Antwort, die er schon Emily am Telefon gegeben hat, während er vor Toby in der Sattelkammer auf und ab rennt. »Und sie war eine gottverdammte Frau , und sie klang wie eine Gouvernante aus Essex, die ihren Rohrstock verschluckt hat, und Jeb hat keine gottverdammte Mutter und hatte sein ganzes Leben keine, wie ich zufällig weiß. Nicht dass ich’s sonst so mit intimen Bekenntnissen habe, aber für ihn war’s das erste Mal seit drei gottverdammten Jahren, dass er jemandem sein Herz ausschütten konnte. Er hat seine Mutter nie gekannt, das Einzige, was er von ihr weiß, ist ihr Name, Caron. Er ist mit fünfzehn aus dem Heim abgehauen und zum Militär. Und erzählen Sie mir nicht, das hat er sich alles nur ausgedacht!«
***
Jetzt ist es Toby, der ans Fenster tritt, heraus aus Kits anklagendem Blick, um in Ruhe nachdenken zu können.
»Am Ende Ihres Telefonats, hatte diese Dr. Costello da irgendeinen Anlass zu denken, Sie hätten ihr vielleicht nicht geglaubt?«, fragte er schließlich.
Ähnlich lange Bedenkzeit von Seiten Kits:
»Nein. Keinerlei Anlass. Ich hab ihr Spiel mitgespielt.«
»Aus ihrer Sicht kann sie also Vollzug melden?«
»Vermutlich.«
Aber ein »Vermutlich« reicht Toby nicht:
»Gut, aus Sicht Ihrer … Ihrer Gegner , wer immer sie sind, sind Sie damit abgewimmelt. Eingewickelt. Ausgeschaltet« – langsam redet er sich in Fahrt. »Sie glauben das Evangelium nach Crispin, Sie glauben Dr. Costello, auch wenn sie das falsche Geschlecht hat, Sie glauben, dass Jeb schizoid ist, ein zwanghafter Lügner, der jetzt in Ruislip in der Geschlossenen sitzt und von dem Mann, auf den seine sämtlichen Ängste fixiert sind, nicht besucht werden kann.«
»Den Teufel tu ich!«, fährt Kit ihn an. »Jeb hat die Wahrheit gesagt und nichts als die Wahrheit. Sie schrie förmlich aus ihm heraus. Vielleicht zerreißt sie ihn irgendwann, aber das ist etwas anderes. Der Mann ist so normal wie Sie und ich.«
»Das bezweifle ich doch auch gar nicht, Kit«, sagt Toby in seinem begütigendsten Tonfall. »Aber zu Suzannas wie auch zu Ihrem eigenen Schutz erscheint mir dieses Bild von Ihnen, das Sie dem Gegner so geistesgegenwärtig gezeichnet haben, durchaus erhaltenswert.«
»Bis wann?«, will Kit kämpferisch wissen.
»Sagen wir, bis ich Jeb gefunden habe? Haben Sie mich nicht deshalb herbestellt? Oder wollen Sie etwa selbst losziehen und ihn suchen, so dass die ganze kläffende Meute sich auf Sie stürzt?«, fragt Toby, schon etwas weniger diplomatisch.
Darauf fällt Kit fürs Erste keine überzeugende Entgegnung ein, weshalb er auf seiner Unterlippe kaut, grimmig schaut und sich mit einem weiteren Schluck Scotch behilft.
»Gut, wenigstens haben Sie dieses Tonband, das Sie gestohlen haben«, knurrt er dann, bitterer Trost. »Dieses Treffen in Quinns Privatbüro mit Jeb und mir. Irgendwo versteckt, nehme ich an. Das wäre im Notfall auch noch ein Beweis. Sie würden natürlich mit hochgehen. Und ich vielleicht auch. Weiß nicht, ob ich da so scharf drauf wäre.«
»Mein gestohlenes Band weist den Vorsatz nach«, berichtigt Toby ihn. »Es beweist nicht, dass die Operation tatsächlich stattgefunden hat, und erst recht sagt es nichts über den Ausgang aus.«
Kit lässt sich das grollend durch den Kopf gehen.
»Das heißt also, um es mal klar zu sagen« – als versuchte Toby sich in irgendeiner Weise zu drücken –, »dass Jeb der einzige Zeuge für die Tötungen ist. Richtig?«
»Zumindest der einzige zur Aussage bereite Zeuge, nach allem, was wir wissen«, bestätigt Toby, und ein banges Gefühl ergreift ihn bei dem, was er da sagt.
***
Viel Schlaf fand er in dieser Nacht nicht.
Irgendwann während seiner kurzen Stunden im Bett hörte er eine Art Aufschrei, den er Suzanna zuordnete. Und auf den Aufschrei hin raschelten Füße über die Plastikfolien im Flur unter ihm – Emily, nahm er an, die an die Seite ihrer Mutter eilte, eine Theorie,
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