Empfindliche Wahrheit (German Edition)
die durch das nachfolgende Stimmgemurmel erhärtet wurde.
Und nachdem das Gemurmel verstummt war, schimmerte noch durch die Ritzen in den Dielenbrettern Emilys Nachttischlämpchen zu ihm hoch (las sie, dachte sie nach, horchte sie ins Elternzimmer hinüber?), bis entweder er oder Emily doch einschliefen – er im Zweifel, denn er konnte sich nicht daran erinnern, ihr Licht verlöschen zu sehen.
Und als er aufwachte, später als geplant, und hinunter zum Frühstück eilte: keine Emily, keine Sheba, nur Kit in seinem Tweedanzug und Suzanna mit Sonntagshut.
»Sie haben wie ein Ehrenmann gehandelt, Toby.« Suzanna nahm seine Hand und hielt sie fest. »Nicht wahr, Kit? Kit war krank vor Sorge, wir beide waren krank vor Sorge, und Sie sind sofort gekommen. Und der arme Jeb ist auch ein Ehrenmann. Und Kit ist einfach nicht gut im Tricksen, stimmt’s, Liebling? Nicht dass ich Ihnen Trickserei unterstellen will, Toby, überhaupt nicht. Aber Sie sind jung, Sie sind gescheit, Sie sitzen im Ministerium, und Sie können die Fühler ausstrecken, ohne, nun ja« – kleines Lächeln –, »gleich Ihre Pension zu verlieren.«
Dann, schon auf der steinernen Veranda, umarmte sie ihn unvermittelt: »Wir hatten nie einen Sohn, Toby. Wir hätten so gern einen gehabt, aber wir haben ihn verloren.«
Dazu ein geraunztes »Sie melden sich« von Kit.
***
Toby und Emily saßen im Wintergarten, Toby auf der äußersten Kante einer alten Sonnenliege, Emily in einem Korbstuhl am anderen Ende des Raums. Den Abstand hatten sie in stummem Einvernehmen so gewählt.
»Nett mit meinem Vater geklönt gestern Abend?«
»Wenn Sie’s so nennen wollen.«
»Vielleicht sollte besser ich anfangen«, schlug Emily vor. »Dann können Sie sich nicht zu Indiskretionen hinreißen lassen, die Ihnen später leidtun.«
»Danke«, erwiderte Toby höflich.
»Jeb und mein Vater planen, ein Schriftstück über ihre gemeinsamen Abenteuer herauszubringen, deren genaue Natur nicht näher definiert ist. Dieses Dokument wird weltbewegende Folgen in offiziellen Kreisen haben. Sprich, sie werden Whistleblower sein. Es geht um eine Frau und ihr Kind, die gestorben sind, zumindest sagt das meine Mutter. Oder möglicherweise gestorben sind. Oder höchstwahrscheinlich gestorben sind. Wir wissen es nicht, befürchten aber das Schlimmste. Warm?«
Da er sie nur mit unbewegtem Gesicht ansah, holte sie Atem und fuhr fort.
»Jeb erscheint nicht zu der Verabredung. Die Bombe kann also nicht hochgehen. Stattdessen ruft eine Ärztin, die keine ist beziehungsweise eigentlich ein Mann ist, bei Kit alias Paul an und teilt ihm mit, dass Jeb in einer Nervenklinik sitzt. Nachforschungen ergeben, dass sie die Unwahrheit sagt. Ich habe das Gefühl, ich führe hier ein Selbstgespräch.«
»Ich höre Ihnen zu.«
»Jeb bleibt derweil unauffindbar. Er hat keinen Nachnamen, und zu wohnen scheint er auch nirgends. Einschlägige Ermittlungswege, wie etwa durch die Polizei, verbieten sich – und wehe, wir törichten Frauenzimmer fragen, warum. Sie hören nach wie vor zu, hoffe ich?«
»Ja.«
»Und irgendwie spielt in diesem Szenario auch Toby Bell mit. Meine Mutter mag Sie. Mein Vater zieht es vor, Sie als notwendiges Übel zu betrachten. Liegt das daran, dass er an Ihrer Loyalität der Sache gegenüber zweifelt?«
»Das müssen Sie schon ihn fragen.«
»Ich frag lieber Sie. Erwartet er, dass Sie Jeb für ihn finden?«
»Ja.«
»Oder für Sie beide?«
»Gewissermaßen.«
»Können Sie ihn denn finden?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wissen Sie, was Sie tun werden, wenn Sie ihn gefunden haben? Ich meine, wenn Jeb irgendeinen Riesenskandal publik machen will, könnte es ja vielleicht sein, dass Sie es sich im letzten Moment anders überlegen und ihn an die Behörden ausliefern. Richtig?«
»Falsch.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Ja.«
»Und Sie versuchen nicht nur irgendwelche alten Rechnungen zu begleichen?«
»Dummes Zeug!«, protestierte Toby, aber über diesen kleinen Temperamentsausbruch ging Emily huldvoll hinweg.
»Ich habe sein Kennzeichen«, sagte sie.
Er kam nicht gleich mit. »Sie haben was?«
»Jebs Kennzeichen.« Sie nestelte in der Hüfttasche ihrer Jogginghose. »Während er neulich meinen Vater am Wickel hatte, habe ich seinen Bus fotografiert. Und seine Steuerplakette auch« – sie zog ein iPhone heraus und wischte auf dem Display hin und her. »Zwölf Monate gültig, vor acht Wochen gekauft.«
»Warum haben Sie das Kennzeichen denn dann nicht Kit
Weitere Kostenlose Bücher