Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
gegeben?«, fragte Toby erstaunt.
    »Weil Kit es verbocken würde, und eine verbockte Verbrecherjagd gehört zu den Dingen, die ich meiner Mutter gern ersparen möchte.«
    Sie stemmte sich aus dem Korbsessel hoch, kam zu ihm herüber und hielt ihm das Telefon unter die Nase.
    »Ich tippe das nicht bei mir ein«, sagte Toby. »Kit will nichts Elektronisches, und ich auch nicht.«
    Er hatte einen Stift, aber keinen Zettel. Sie förderte einen aus einer Schublade zutage. Er notierte sich das Kennzeichen von Jebs Campingbus.
    »Wenn Sie mir Ihre Handynummer geben, könnte ich Sie vielleicht über meine Nachforschungen auf dem Laufenden halten«, regte er an, nun wieder so weit Herr seiner selbst.
    Sie diktierte sie ihm. Er schrieb sie auf seinen Zettel.
    »Dann nehmen Sie am besten gleich noch meine Nummer in der Praxis und die Klinikzeiten dazu«, sagte sie und sah zu, wie er auch das seiner Sammlung hinzufügte.
    »Aber wir dürfen auf keinen Fall zu deutlich werden am Telefon, ja?«, warnte er sie streng. »Auch keine Winke mit dem Zaunpfahl oder irgendwelche raffinierten Anspielungen« – die alte Leier aus der Sicherheitsschulung –, »und wenn ich Ihnen eine SMS schicke oder eine Nachricht hinterlasse, dann als Bailey, wie Bailey’s Green.«
    Sie zuckte die Achseln – wenn Sie das beruhigt, hieß das.
    »Und wäre es ein Problem, wenn ich Sie auch mal später abends anrufen müsste?«, erkundigte er sich abschließend und hoffte, dass er recht praktisch und zupackend klang.
    »Ich lebe allein, falls das die Frage war«, sagte sie.
    War es.

5
    Im Bummelzug zurück nach London, die im Halbschlaf verbrachte Nacht durch, ja, selbst am Montagmorgen im Bus zur Arbeit rätselte Toby Bell, nicht zum ersten Mal in seinem Leben, welcher Teufel ihn ritt, dass er ohne Not seine Karriere und seine Freiheit aufs Spiel setzte.
    Wenn seine Zukunft so rosig aussah, wie ihm die Personalchefin eben erst versichert hatte, wozu dann dieses Wühlen in der Vergangenheit? War das sein altes Gewissen, das ihn drückte, oder ein neu erfundenes? Sie versuchen nicht nur irgendwelche alten Rechnungen zu begleichen? , hatte Emily von ihm wissen wollen, und wie war das bitte schön zu verstehen? Glaubte sie, er führe einen Rachefeldzug gegen die Fergus Quinns und Jay Crispins dieser Welt, aus Tobys Sicht zwei Männer von so himmelschreiender Mittelmäßigkeit, dass sie keinen zweiten Gedanken lohnten? Oder projizierte sie ihre eigenen uneingestandenen Motive auf ihn? War es in Wahrheit Emily, die eine alte Rechnung beglich: mit dem gesamten männlichen Geschlecht, ihren Vater inbegriffen? Momentelang war es ihm zwischendurch immer wieder so vorgekommen – wobei es auch andere, zugegebenermaßen kurze Momente gegeben hatte, in denen es ihm fast schien, als schwenkte sie auf seine Seite über, was immer »seine« Seite war.
    Doch trotz aller fruchtlosen Seelenerforschung – oder vielleicht gerade deswegen – funktionierte Toby an diesem ersten Tag in seiner neuen Stellung mustergültig. Bis um elf hatte er schon sämtliche seiner neuen Mitarbeiter gesprochen, ihre Zuständigkeiten abgesteckt, mögliche Überschneidungen minimiert und Synergien und Kompetenzen abgestimmt. Anschließend hielt er bei einem Treffen der Bereichsleiter eine kleine Grundsatzrede, die glänzend ankam. Und zur Mittagszeit saß er im Büro seiner Regionaldirektorin und mampfte ein Sandwich mit ihr. Erst als sein Tagespensum zur Gänze abgearbeitet war, schob er einen Außentermin vor, nahm den Bus zur Victoria Station und rief von dort, umtost vom Feierabendverkehr, seinen alten Freund Charlie Wilkins an.
    ***
    Jede britische Botschaft müsste einen haben, hatten sie in Berlin immer gesagt, denn was hätten sie angefangen ohne Charlie Wilkins, diesen gemütlichen Mittsechziger, Exkriminaler und langjähriger Diplomatenbeschützer, der noch jedes Problem gelöst hatte? Ein Poller sprang einem gegens Auto, wenn man nach den Festlichkeiten zum 14 . Juli von der französischen Botschaft wegfuhr? Frechheit! Ein übereifriger Streifenpolizist hatte sich eingebildet, einen dafür auch noch blasen lassen zu müssen? Na, da würde Charlie Wilkins ein Wörtchen mit ein paar guten Freunden bei der Berliner Polizei reden und sehen, was sich machen ließ.
    In Tobys Fall freilich verhielt sich die Sache umgekehrt, denn er war einer der wenigen Menschen auf dieser Welt, die bei Charlie und seiner deutschen Frau Beatrix einen Gefallen guthatten. Die Tochter der beiden, eine

Weitere Kostenlose Bücher