Empty Mile
ich vor.«
»Du hättest ein Farbfoto nehmen sollen.«
»Das ist ein ganz besonderes Bild. Was fällt dir daran auf?«
Stan kniff konzentriert die Augen zusammen, dann trat er einen Schritt zurück und blinzelte. »Mann, mir wird ganz schwindelig. Es ist nur ein Fluss, Dad. Ist es der Swallow River?«
»Sehr gut. Siehst du noch etwas?«
»Herrje, mir dreht sich alles. Sonst kann ich nichts erkennen. Frag Johnny.«
»Ich sehe auch nur Bäume und einen Fluss.«
Mein Vater lächelte, betrachtete das Foto und schüttelte den Kopf, als könnte er sein Glück nicht fassen.
»Kommt. Wir machen einen Ausflug.«
Wir gingen hinaus und stiegen in das Auto meines Vaters ein. Als wir die Einfahrt hinunterfuhren, zog Stan eine verspiegelte Fliegerbrille auf und band sich ein Taschentuch aus Seide um den Hals.
Die Stelle, wohin mein Vater uns führte, hieß Empty Mile. Als wir Oakridge verlassen hatten, betrug die Fahrzeit rund zwanzig Minuten, die letzten paar Meilen auf einer kurvenreichen, einspurigen Asphaltstrecke, die lediglich die Bezeichnung »Wirtschaftsweg 12 « trug. Am Straßenrand standen die staubigen Holzpfosten einer alten Stromleitung für die abgelegenen Siedlungen, die eine Handvoll Familien auf der Suche nach einem abgeschiedenen Lebensstil errichtet hatten. Weder Touristen noch Stadtbewohner hatten einen Grund, hierherzukommen – es gab nichts zu sehen, das man nicht auch in der Stadt oder einer anderen malerischeren Umgebung zu sehen bekommen hätte. Die einzigen Hinweise, dass das Gebiet überhaupt noch besiedelt war, bildeten vereinzelte Schilder mit handschriftlichen Familiennamen an den Abzweigungen unbefestigter Feldwege.
An einer davon bog mein Vater von der Straße ab auf einen Weg, der lediglich aus zwei ins Erdreich gegrabenen Reifenspuren bestand. Den fuhren wir entlang durch einen kargen Wald, bis wir auf einer großen Wiese mit hohem Gras herauskamen, die mehrere Hundert Meter hangabwärts führte. Mein Vater hielt das Auto an; wir stiegen aus.
Die Bäume, die wir passiert hatten, lagen hinter uns, die Wiese vor uns grenzte ebenfalls an einen Wald an. Rechter Hand ragte das Gelände als steile Felswand rund zwanzig Meter in die Höhe.
In der oberen linken Ecke der Wiese stand ein altes Holzhaus, das dringend gestrichen werden musste. Es befand sich über Bodenhöhe und hatte eine kurze Treppe, die zu einer überdachten Veranda führte. Ein verbeulter alter Datsun parkte daneben, im nicht eingezäunten Garten hing Wäsche an der Leine.
Auf der anderen Seite der Wiese, dem Haus gegenüber und etwa die halbe Strecke hangabwärts, stand eine deutlich neuere Blockhütte. Auch sie hatte eine überdachte Veranda an der Vorderseite; hinten sah ich einen großen Regenwassertank und einen kleinen Schuppen.
Stan legte sich sofort ins Gras. Er rollte sich ein paar Mal herum, dann stand er auf und klopfte sich ab. Mein Vater trug einen Anzug, wie fast immer. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und die Jackettärmel hinter die Handgelenke geschoben.
»Was meint ihr, Jungs?«
Stan sah verwirrt drein, als suchte er nach der Antwort, die mein Vater hören wollte. »Man kann nicht gut herumrollen.«
»Was sagst du, Johnny?«
»Nettes Fleckchen. Verkaufst du es?«
»Es gehört mir.«
»Echt?«
»Ich hab den Vertrag heute unterschrieben.«
»Das ganze Gelände?«
»Den größten Teil der Wiese und bis hinter die Bäume dort unten. Auf der anderen Seite fließt der Swallow River, dort ist die Grundstücksgrenze. Die Blockhütte gehört dazu, aber das Haus da drüben gehört jemand anderem.«
Stan strich sich mit den Händen nervös durch das Haar. »O Mann, Dad. O Mann.«
»Was ist los, Stan?«
»Ziehen wir hierher?«
»Nein, wir ziehen nicht um.«
»Aber du hast ein Grundstück mit einer Blockhütte gekauft.«
»Wir ziehen nicht um, Stanley. Keine Bange.«
Ich teilte Stans Nervosität nicht, verstand aber seine Verwirrung. Das Land, das mein Vater gekauft hatte, taugte zu wenig mehr als zu Erholungszwecken. Als Investition konnte man es kaum ansehen. Es war zu weit von der Stadt entfernt und zu abgelegen, als dass man es in Parzellen aufteilen und als Bauplätze verkaufen konnte. Und in Hinblick auf den Tourismus war es ebenfalls eine Niete. So hübsch und friedlich es wirkte, es bot weit und breit keinerlei Attraktionen, für die irgendjemand hier rausfahren würde.
Mein Vater schlenderte durch das hohe Gras, federnd, mit ausgebreiteten Armen, was irgendwie aufgesetzt
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