Empty Mile
und rechneten damit, dass Tripp jeden Moment an die Tür klopfen würde. Als Marla die Tasse hob, bemerkte ich eine lange, dünne Verbrennung an der Innenseite ihres Unterarms.
»Was ist passiert?«
Sie zuckte die Achseln und sagte nichts. Ich nahm ihren Arm und sah mir die Verbrennung eingehender an. Die rote Brandblase war etwas zehn Zentimeter lang, die angrenzende Haut dunkelbraun, trocken und abgestorben.
»Was zum Teufel ist passiert?«
Sie zog den Arm weg. »Ich habe dir letzte Nacht gesagt, ich bin ein Schwein. Und Menschen, die sich wie Schweine benehmen, sollten bestraft werden.«
»Du hast dir das selbst angetan? Großer Gott! Wie?«
»Ich habe ein Messer im Herd heiß gemacht.«
»Marla, das ist furchtbar.«
»Nein, ist es nicht. Es ist genau richtig.«
Ich wollte mehr sagen, doch da klopfte es an der Eingangstür. Marla sah erschrocken drein und stöhnte.
»Ich kann das nicht noch mal. Ich kann nicht …« Sie schlurfte durch den Flur und zog niedergeschlagen die Tür auf.
Auf der Veranda stand Jeremy Tripp mit einem kleineren Mann, der einen dunklen Anzug trug und einen großen Umschlag unter den Arm geklemmt hatte. Hinter ihnen stand eine neu aussehende silberne Limousine im Muster der Schatten unter den Bäumen. Jeremy Tripp setzte eine wichtige Miene auf.
»Es wird Zeit, sich zu verpissen und eine neue Bleibe zu suchen.«
Der Mann neben Jeremy Tripp räusperte sich. Er griff in die Tasche seines Jacketts und holte eine Visitenkarte heraus. »Gerald Turnbull. Ich bin Mr Tripps Anwalt in dieser Angelegenheit.«
Marla runzelte die Stirn. »Was gibt’s?«
»Kleiner Vermieterwechsel«, zischte Jeremy Tripp.
Der Anwalt räusperte sich erneut. Er öffnete den Umschlag, den er bei sich hatte, und holte mehrere zusammengetackerte Dokumente heraus. Er hielt uns die Dokumente hin und blätterte Seite für Seite um, damit wir den Inhalt sehen konnten. Es schien sich um eine Art von Vertrag zu handeln.
Marla zuckte die Achseln. »Und?«
»Mr Tripp hat heute den Kaufvertrag für dieses Grundstück unterschrieben.«
»Ihm gehört dieses Haus jetzt. Mr Constantian, Ihr bisheriger Vermieter, hat es ihm verkauft.«
»Blödsinn.« Marla riss ihm die Dokumente aus der Hand und überflog sie. Einige Augenblicke später ließ sie die Arme sinken; der Anwalt nahm den Vertrag wieder an sich. »Er hat mir nie gesagt, dass er es verkaufen wollte.«
Jeremy Tripp hielt grinsend beide Hände in die Höhe. »Einer der vielen Vorteile, wenn man steinreich ist.«
»Das ist ein Witz, oder? Sie sind mein Vermieter?«
»Nicht lange.«
Der Anwalt nahm weitere maschinengeschriebene Seiten aus dem Umschlag. »Sie haben dieses Haus auf monatlicher Basis gemietet. Es existiert keine Kündigungsfrist. Mr Tripp möchte, dass Sie es schnellstmöglich räumen, auf keinen Fall jedoch später als in sechs Wochen.«
Er hielt ihr das Dokument hin. Marla betrachtete es so verständnislos, dass der Anwalt die Stirn runzelte.
»Das bedeutet sechs Wochen von heute an. Haben Sie das verstanden?«
Marla schüttelte den Kopf. »Das ist mein Haus. Ich wohne seit zehn Jahren hier.« Sie wandte sich an Jeremy Tripp. »Warum machen Sie das? Sie brauchen das Haus nicht. Ich kann hier nicht weg.«
»Oh, ich glaube, Sie können alles, was Sie sich in den Kopf setzen.« Er betrachtete den Himmel und die Bäume ringsum und holte tief Luft. »Was für ein Tag.«
Dann drehte er sich um und ging die Verandatreppe hinunter. Unten angekommen sah er mich an.
»Weißt du was? Wenn du und dein hirnamputierter Bruder ein wenig Konkurrenz hättet, wäre euch das vielleicht ein Ansporn. Könnte sogar gut für euch sein. Was meinst du?«
Dann drehte er sich um und ging die Einfahrt hinab zur Straße. Der Anwalt sah noch einmal in seinen Umschlag, ob er nichts vergessen hatte, dann nickte er zum Abschied, entfernte sich ebenfalls und stieg in die silberne Limousine ein. Marla schlug die Eingangstür so fest zu, dass das Glas klirrte.
Wir legten uns auf ihr Bett, wo ich sie im Arm hielt, und das Licht des späten Nachmittags drang bereits gedämpfter herein. Ich wusste, was diese Kündigung ihr bedeutete. Sie hatte keine Familie mehr, keine Heimatstadt, wohin sie zu Weihnachten und an Geburtstagen zurückkehren konnte, kein Arsenal glücklicher Erinnerungen an die Kindheit. Für das alles bildete dieses Haus eine Art Ersatz; wenn sie es verlor, nahm man ihr damit den größten Teil des Lebens, das sie sich aufgebaut hatte.
Sie legte den
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