Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
Vom Netzwerk:
wohnte,
in der seine Mutter und seine Schwester schliefen. Er mußte
seine eigene Wohnstätte bauen, bei den Hochzeitsspielen ein
Mädchen rauben und mit ihr als seiner Gefährtin
leben. Ungeduldig sah er der Zeit entgegen, die ihm das
schöne, freie Leben eines erwachsenen Mannes sicherte, der im
Rate des Stammes seine Stimme hatte, sein eigenes Herdfeuer
besaß und eine Gefährtin und Kinder, für die
er sorgte. Doch um diesen ersehnten Zustand zu erreichen,
mußte er alle Schrecken und Leiden der
Einweihungsfeierlichkeiten über sich ergehen lassen.
    Er zwang sich, nicht weiter daran zu denken. Das Verlangen, in
den Kampfspielen auf der Wiese, am Flusse, zu siegen, verdunkelte alles
andere. Trotz der widrigen Jahreszeit hatten sich die jungen Leute
ihrer Kleidung entledigt. Sie maßen im Durchschnitt mehr als
sechs Fuß. Verächtlich lächelte man im
Stamme, wenn man sich an ein Volk erinnerte, das eine gelbe Haut und
geschlitzte Augen gehabt hatte, und dessen Männer nicht einmal
fünf Fuß hoch gewesen waren. Während eines
langen, strengen Winters war es einmal, kaum zwanzig Familien stark,
aufgetaucht. Sie sprachen fremde, unbekannte Worte, waren von Nordost
gekommen und – man wußte kaum in welcher Richtung
– wieder verschwunden, ohne daß man jemals noch
etwas von ihnen hörte. Die Leute vom Fluß hatten
manchmal solche Überraschungen, die die Eintönigkeit
der Tage unterbrachen.
    Die Körper mit Fett eingerieben, übten No
und seine Freunde sich im Ringen. Geschmeidig wie Lachse, stark wie
Bären belauerten sie einander zunächst, um geschickt
einem gestellten Bein oder Untergriff des Gegners auszuweichen. Wenn
sie sich dann umschlangen, krachten ihre Knochen; endlich rollten beide
Kämpfer im Gras, bis es schließlich einem von ihnen
gelang, den Gegner unter sich festzuhalten.
    Mädchen und Frauen sahen den Spielen nicht zu, aber
die Alten waren da, gaben den Kämpfern ihre
Ratschläge und feuerten sie durch ihre Schreie an.
    Das Wettlaufen begann. Durch Generationen dauernde
ständige Übungen hatten nach und nach den Knochenbau
dieses Jägervolkes verändert – die
Unterschenkel verlängert, den Brustkorb entwickelt, die
Beinmuskeln geschmeidiger und ausdauernder gemacht – so sehr,
daß jetzt die besten Läufer unter günstigen
Umständen imstande waren, selbst einen flüchtigen
Rehbock einzuholen. So hatte jeder einzelne jene Geschwindigkeit
erreicht, die ihm und seinem Stamme zur Existenz
unerläßlich war. Übrigens unterwarfen sich
die Läufer einer streng geregelten Lebensweise. Sie
aßen nur die Schenkel von Renntieren und Pferden, um sich auf
diese Weise das Wesentlichste der Schnelligkeit dieser Tiere, von denen
sie sich nährten, einzuverleiben. Die übrigen Teile
der Tiere wurden den anderen überlassen.
    Bei ihren Übungen liefen sie immer zu zweit. Zehnmal
mußte eine Strecke von etwa zweihundert Schritt, die zwischen
zwei Bäumen abgemessen worden war, durcheilt werden. Die
harmonische Kraftentfaltung bildete einen prächtigen Anblick:
wie gespannt von der Anstrengung war jeder Muskel der ganzen sehnigen
Gestalten, der Kopf lag zurückgebogen, das Kinn weit
vorgestreckt, breit wölbte sich die Brust gleich jener des
Bisons; wie bei den Wölfen war der Unterleib gekrümmt
und eingezogen, und die Füße am Ende der schmalen
Beine, die viel länger als der Oberkörper waren,
schienen den Boden kaum zu streifen. Manchmal fuhren Platzregen
peitschend auf sie nieder, dann stiegen Dampfwolken von ihren
glänzenden Körpern auf.
    No war im Laufen einer der Besten. Wenn ihm für die
größeren Entfernungen auch noch der Atem mangelte, so
war er doch auf hundertfünfzig Schritte von keinem zu
überholen, und der Sieg über diese Strecke war der
begehrteste.
    Sie übten sich auch im Bogenschießen und
Speerwerfen. Die Spitzen der Speere wie die der Pfeile waren aus den
Geweihen der Renntiere geschnitzt. Ein guter Jäger traf mit
seinem Speer auf fünfzig Schritt. Pfeifend durchschnitt er die
Luft und zitterte und schwankte, als wolle er jeden Augenblick aus
seiner Bahn ausbrechen. Aber eine Kraft in ihm hinderte ihn daran. Er
rammte sich in den Stamm einer jungen Birke. Dann vernahm man einen
dumpfen Ton. Die Birke klagte über die erhaltene Wunde. Nichts
Schöneres gab es als die Bewegung der jungen Leute, die, ihre
Waffe schwingend, losstürmten. Plötzlich blieben sie
wie angewurzelt stehen, mit dem linken Bein sich

Weitere Kostenlose Bücher