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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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nach einer so langen
Reise erwachte sie und fand sich wieder auf der alten Terrasse in der
Hütte, in der die Ihren schliefen. Der schwere Atem der Mutter
klang in der Stille der Nacht noch mühsamer. No lag neben
Timaki, und der jüngere Bruder wälzte sich, in einem
Traum befangen – was mag so ein Kind im Traum erleben!
– unruhig in seinem Sack. Würde sie jemals in jene
schönen Länder zurückkehren können?
Gab es keine Möglichkeit, den sehnsüchtigen Traum zu
verwirklichen? Wer vermöchte sie aus ihrem eintönigen
Leben zu entführen?
    Sie wußte, es gab Männer, die die
Länder bereisten, die Händler, die am Ufer des ganz
großen Wassers lebten. Das Meer! Nach den Erzählungen
jener, die es gesehen hatten, bemühte sie sich, eine
Vorstellung mit dem Wort zu verbinden. Es mußte ein
Fluß sein, der nur ein einziges Ufer hatte, und
während das Wasser in einem gewöhnlichen Flusse ohne
Unterlaß vorbeiströmte, blieb das Wasser im Meer
stets das gleiche. Nur manchmal erregte es sich, wurde wütend
und ließ ein dumpfes Brausen hören, mit dem es die
Menschen erschreckte. Würde sie jemals das Meer sehen?
    So träumte sie auch vor sich hin, während
sie das Fell eines frisch getöteten Fohlens schabte.
    Wenn sie während Nos Abwesenheit
entschlüpfen konnte, zog sie mit den anderen Mädchen
des Stammes hinaus, um Blumen und duftige Kräuter auf den
Hügeln zu sammeln. Die Blumen, die schmückten das
Haar und Kränze wurden daraus geflochten, die so
schön um den Hals zu tragen waren. Die Kräuter wurden
in den Hütten während des Winters getrocknet. Manche
verwendete man dazu, um dem Fett, mit dem man seinen Körper
einrieb, den süßen Geruch zu geben, von anderen
erzählte man, daß junge Frauen, die sich Kinder
wünschten, sie auf ihr Lager legen mußten. Doch die
Mädchen hatten noch andere Wünsche und
pflückten ganz im geheimen eine seltene Pflanze, die nur an
feuchten, schattigen Stellen der Täler wuchs, um sie in den
Nächten, in denen kein Mond schien, unter ihren Kopf zu legen.
Dann waren sie sicher, einen starken und tüchtigen Mann zu
finden, bei dem es ihnen niemals an Nahrung mangeln würde, der
niemals unter dem Vorwande der Jagd Tage und Nächte fern dem
häuslichen Herd verbringen, der nie den kinderlosen Frauen,
diesen Hyänen, nachstellen wird, und von dem keine Roheiten zu
befürchten waren.
    Obwohl Mah noch ein Jahr warten mußte, ehe sie an den
Hochzeitsspielen teilnehmen durfte, suchte sie den Verkehr mit
älteren Gefährtinnen, teilte ihre
Beschäftigung, ihre Freuden und ihr erwartungsvolles Fieber.
Das Fest, das zu Mitten des Sommers stattfand, und bei dem sich alle
drei benachbarten und befreundeten Stämme, die am Ufer des
Flusses wohnten, zusammenfanden, entschied über das Los der
Mädchen. Dann mußten sie die Gegend, in der sie
geboren waren, verlassen. Die alten, ewigen Gesetze, auf deren
Einhaltung strenge gesehen wurde, verboten die Heirat innerhalb des
Stammes.
    Man beging die Hochzeitsspiele mit größter
Feierlichkeit, und die Weisen wachten strenge darüber,
daß die alten Gebräuche in allen ihren Vorschriften
genau erfüllt wurden, denn die Zukunft des Stammes hing davon
ab. Die Ehen waren nicht mehr so kinderreich wie ehemals. Damals
zählte ein Haushalt noch zehn und mehr Kinder, und die
Hälfte davon blieb am Leben. Jetzt aber sah man kaum mehr als
fünf oder sechs, von denen drei oder vier im
frühesten Alter starben. Und überdies lag
über manchen Frauen der Fluch, kinderlos zu bleiben. Sie
brachten Unglück allen denen, die sich ihnen näherten
und verursachten Unfrieden in den Ehen. Vergeblich suchten die Weisen
die Gründe dieses Übels, und verschiedene Mittel
wandten sie an, um den bösen Bann, der auf diesen Frauen lag,
zu brechen. In Elfenbein und Horn wurden weibliche Formen als Sinnbild
der Mütterlichkeit geschnitzt. Es waren mächtige
Frauengestalten mit breiten Hüften, deren Unterleib sich
vorwölbte, um ein kräftiges Kind zu tragen, und deren
geschwellte Brüste unerschöpfliches Quellen gesunder
Nahrung verhießen. An den Wänden der heiligen Grotten
fanden sich diese Bilder, von Farben belebt, und die Kinderlosen
verweilten dort angsterfüllt und in Tränen
während der drei Vollmondnächte des Sommers. Die
Männer erwarteten sie am Ausgang. Die Paare formten sich und
entschwanden in der Nacht den Fluren zu.
    Doch all diese Mittel, die einstmals geholfen hatten,

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