Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
Vom Netzwerk:
Schritte hob es den Kopf und blickte No entgegen.
Dieser war stehengeblieben, und beide musterten einander unbeweglich,
No mit erhobenem Bogen, das Tier mit dumpfem Grollen und
gesträubten Haaren. Warum flüchtete das Tier nicht?
Warum wurde Nos Pfeil nicht abgeschnellt? Diese doppelte Frage
verwirrte No. Er machte einen Schritt vorwärts, und sogleich
änderte sich das Bild. Das Tier wurde rasend vor Wut,
stieß heitere Schreie aus, und – was das
Sonderbarste war – statt nun zu fliehen, nahm es Stellung, um
gegen No loszuspringen. Jetzt erst schnellte Nos sichere Hand den
Pfeil, der das unbekannte Wild durchbohrte. Es krümmte sich
noch ächzend und blieb mit ausgestreckten Läufen tot
liegen.
    No kam näher, um seine Beute zu betrachten. Es war
ein Tier von der Größe eines Wolfes, mit kurzem,
feuerrotem Haar, die spitz zulaufende, lange Schnauze war voll Blut des
Hirschkalbes und zeigte ein starkes Gebiß, wie nur Raubtiere
es besitzen. Es tötete das Wild, um sich davon zu
nähren; diesen Beweis hatte No vor sich, und es war mutig, da
es selbst vor dem Menschen nicht zurückschreckte, ja ihn sogar
angriff. Recht beunruhigend war das Auftreten solcher Tiere im Lande,
denn sie würden den Menschen vom Flusse gefährliche
Rivalen sein, die von dem immer selteneren Wilde ihren Teil
beanspruchten. Und was konnte man von ihnen gewinnen? Auf den ersten
Blick schon hatte No gesehen, daß das Fell unbrauchbar war.
    Aber er mußte es mitnehmen, um es den Weisen zu Hause
zeigen zu können. Darum begann er mit Hilfe eines Steines
seine Beute abzuhäuten. Während er noch an der Arbeit
war, ertönten ganz nahe drohende Tierstimmen. Er blickte sich
suchend nach einem Verstecke um und bemerkte einen Ast, der von einem
Baum über den Felsen niederhing. Im gleichen Augenblicke kam
auch schon ein Rudel von zwanzig Tieren, gleich dem, das er eben erlegt
hatte, die um die Wette heulten. Rasch kletterte No, Hände und
Füße zu Hilfe nehmend, auf den Felsen, sprang in
kühnem Satz auf den Ast und setzte sich rittlings darauf.
Während des Hinaufsteigens durchfuhr ein Biß seine
Wade.
    Unter ihm ertönte furchtbares Geheul. Erstaunt fragte
sich No, was das wohl für Tiere sein mochten, die in so
großen Rudeln jagten. Jedes einzelne schien gar nicht
übermäßig stark. Vereinigt aber –
durch welches magische und nie gesehene Bündnis, das sie darin
den Menschen ähnlich machte – wurden sie furchtbar.
No sah ein, daß er allein mit ihnen den Kampf nicht aufnehmen
konnte. Er mußte seine Freunde herbeirufen, aber sie
gleichzeitig warnen, beim Näherkommen auf ihrer Hut zu sein.
Zu viert würden sie mit diesen lärmenden Gegnern
fertig werden. Er ließ drei kurze Pfiffe hören und
fügte noch einen langen hinzu.
    In diesem Augenblicke tauchte ein Mann aus den
Büschen auf, der aber nicht zu jenen gehörte, die No
erwartete, und der offensichtlich nicht dem gleichen Volke, wie die
Leute am Flusse, angehörte. Er war viel kleiner, doch
mußte er trotzdem bedeutende Kraft besitzen, denn
mächtig war sein Brustkorb, und starke Muskeln spielten an
Schultern, Armen und Beinen. Und sein Kopf, statt länglich zu
sein, war rund gewölbt. Plump zusammengesteckte Wolfsfelle
dienten ihm als Kleidung. Und wie maßlos war das Erstaunen
Nos, als er diesen Mann mit ruhigen Schritten auf die rasenden Tiere
losgehen, als er ihn mitten zwischen sie treten sah, als wären
sie gar nicht vorhanden und – ein Umstand, wenn
möglich noch schwerer zu erklären – diese
selbst schenkten ihm nicht die geringste Beachtung und fuhren unbeirrt
in ihrem Lärmen fort. Da rief der Mann mit lauter Stimme
für No unverständliche Worte. Ein kurzes Schweigen
folgte, dann begann der Höllenlärm von neuem.
Ungeduldig geworden, zog darauf der Fremde ein Werkzeug aus seinem
Gürtel, ähnlich demjenigen, das No aus dem Flusse
gezogen hatte, ließ es klatschen und schlug damit in das
aufgeregte Rudel. Es heulte darin schmerzlich auf, aber die Tiere
wurden sofort still und drängten sich mit eingezogenem Schweif
zu Füßen dessen, der als ihr Gebieter aufgetreten war.
    Von Staunen überwältigt, fragte sich No, ob
er im Traume in ein Land versetzt worden war, in dem alles ganz anders
verlief, als in der Welt, die er kannte. Zeit und Kraft mangelten ihm,
um sich zu besinnen. Eines nur erfaßte er: ein Wesen von
menschlichem Aussehen und ihm gleichend gebot wilden Tieren mit seiner
Stimme, und sie

Weitere Kostenlose Bücher