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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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gehorchten ihm!
    In diesem Augenblick entdeckte der Fremde den auf dem Baume
sitzenden No und begann zu lachen, als wäre es nicht das
erstemal, daß sich ihm ein solcher Anblick bot. Er machte No
Zeichen, herunterzusteigen, und No war von dem allen so verwirrt,
daß er gar nicht mehr an Gefahr dachte und zu Boden sprang.
Der Fremde betrachtete ihn aufmerksam und sprach dann zu ihm in einer
unverständlichen Sprache. Obgleich die Laute rauh klangen,
schienen sie wohlwollend.
    Noch während er sprach, fiel sein Blick auf die
Leiche des Tieres, das von Nos Pfeil durchbohrt worden war. Ein
zorniges Aufblitzen seiner Augen traf No, und ein herrischer Ruf
entfuhr seinen Lippen. No begriff, daß er das Töten
eines der ihm gehörenden Tiere damit verbot. Doch der Fremde
beruhigte sich bald und gab No mit seiner flachen Hand einen leichten,
freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. Dann, als wollte er No
seine Macht zeigen, wandte er sich und wies lächelnd und nicht
ohne Stolz auf die Tiere mit dem furchtbaren Gebiß, die nun
ruhig zu seinen Füßen lagen und fröhlich
schweifwedelnd zu ihm aufblickten.
    No vermochte kein Wort hervorzubringen, er bemühte
sich, die Beschwörungsformeln zu murmeln, und konnte sich an
keine einzige mehr erinnern. Seine Knie bebten. Ein sonderbares
Gefühl der Erschlaffung kam über ihn. Eine Wolke
verschleierte seine Augen.
    Schon schritt der Fremde mit dem runden Schädel, die
Peitsche in der Hand schwingend, dem Walde zu, und seine Hunde folgten
ihm.
    Die Berichte Nos und seiner Gefährten wurden von den
Leuten am Flusse nur mit ungläubigem Lächeln
aufgenommen.
    Seitdem die Welt bestand, gab es Krieg zwischen Mensch und
Tier. Sieger blieb der Stärkere, Geschicktere, Schlauere,
meist der Mensch, der durch seine Zaubermacht die Geisterwelt
beherrschte und sie zwang, ihm in diesem Kampf beizustehen. Er
tötete die Tiere, um sich von ihrem Fleisch zu
nähren, um ihr Fell zu verwenden, ihre Knochen, ihr Elfenbein,
ihr Geweih seinen zahlreichen Bedürfnissen dienstbar zu
machen. Zwischen ihnen und ihm gab es keine Freundschaft, nicht einmal
für Augenblicke, und keine Atempause hatte jemals diesen
ewigen Kampf unterbrochen! Aus dem Blute, das von beiden Seiten
vergossen worden war, das nicht zu fließen aufhörte,
war ein Haß emporgewachsen, der niemals schwinden konnte. Der
Mensch, der furchtbare, verabscheute Tyrann, hatte Einsamkeit um sich
verbreitet. Bei seinem Nahen floh oder verkroch sich, von Angst
getrieben, alles Getier. Überrascht verteidigte es sich, und
der Kampf endete nur mit dem Tode eines der beiden Gegner. Mord, immer
und überall nur Mord! So verlangte es ein unerbittliches
Naturgesetz!
    Und jetzt sollten sich diese ewigen Feinde ausgesöhnt
haben? Sie sollten friedlich zusammenleben? Die Tiere sollten vor dem
Menschen nicht mehr zittern, sie sollten ihn bei sich aufnehmen, ja,
mehr noch als dies, sie sollten sich freiwillig seinen Befehlen
unterordnen? Und er, der Mensch, sollte sich ungestraft allein mitten
in ihren entfesselten Haß wagen, sie durch ein Wort
besänftigen und seinen Zwecken dienstbar machen? Wer
hätte dies wohl glauben können? Das waren
Geschichten, die man kleinen Kindern erzählen mochte!
    So nahm man den Bericht der heimgekehrten jungen Leute mit
Spott auf. Im übrigen verwies man – und mit Recht
– darauf, daß No der einzige Zeuge jener seltsamen
Szene gewesen war. Als seine Begleiter einige Augenblicke
später zu ihm stießen, fanden sie ihn allein, wie
verwirrt, unfähig, ein Wort zu sprechen, neben dem von ihm
getöteten harmlosen Tier. Erst nach und nach in
Bruchstücken hatte er von der Begegnung mit dem
rundschädligen Mann erzählt. Seither weigerte er
sich, darüber zu sprechen. Auch dem Häuptling und den
Weisen sagte er nur das Allernotwendigste, und dies nur mit sichtlichem
Widerstreben. Still und verschlossen hielt er sich abseits und nahm an
entfernteren Jagdzügen, die die Männer seines Stammes
veranstalteten, nicht mehr teil. Er lebte recht und schlecht von dem
Kleinwild, das sich in seinen Fallen fing, und vom Fischfang, dem er
jetzt eifriger als zuvor oblag. Man glaubte, dies Maras
Einfluß zuschreiben zu müssen.
    Alles in allem rechtfertigte sein Verhalten die Meinung
derjenigen, die annahmen, daß sein Geist getrübt sei.
Ein Mensch sollte ihm erschienen sein? Ein verstörter Geist
vielmehr, der sich in menschlicher Gestalt gezeigt hatte und darauf

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