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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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ein Kommando
ihre Pfeile ab, die erstaunlich hoch flogen, ehe sie in den nahen Wald
niederfielen, wo einige davon zischend in die Zweige fuhren. Die Leute
vom Flusse empfanden dies als Herausforderung, denn es war gegen den
Brauch, zu den Hochzeitsspielen mit Waffen zu erscheinen, geschweige
denn sich ihrer zu bedienen.
    Die jungen Rundschädel begannen nach dieser
Kundgebung einen Tanz auf ihre Art. Einige von ihnen entlockten
zerschnittenen und mit Harz genau aneinandergefügten
Schilfrohrstücken wohlklingende und entzückende
Töne. Es war, als hörte man Wasserfälle
rauschen. Den abwechselnd tiefen und hohen Tönen der
Schilfrohre wurde durch schmale und verlängerte
Holzplättchen, die gegeneinander schlugen, Rhythmus verliehen.
Zu dieser eigentümlich wirkenden Musik tanzten sie, sich an
der Schulter haltend, in einer Reihe hintereinander; sie tanzten voll
Kraft, mit Maß, auch mit Geschmeidigkeit, und, man
muß es sagen, mit einer Anmut, die man diesen Tölpeln
nicht zugetraut hätte. Während die Mädchen
sie betrachteten, machten unbewußt ihre bebenden
Körper den Takt des neuen Tanzes mit. Der eindringliche
Rhythmus der Schilfrohrflöten brachte sie außer sich
und erweckte in ihnen das unwiderstehliche Verlangen, sich diesen
leichtfüßigen jungen Leuten anzuschließen.
    Vorwärts und zurückgehend, kamen diese immer
näher an die Schar der Zuschauer heran. Die Dämmerung
sank tiefer. Ein erster Stern erschien zwischen den Wolken. In diesem
Augenblick brach die Kette der jungen Leute in zwei Teile, und der
Tänzer, dessen eine Hand frei war, streckte sie gegen ein
junges Mädchen aus, vor der er wie ein geschmeidiges Tier in
die Höhe sprang. Schilfrohrflöten und Klappern
ertönten noch eindringlicher. Wie sollte man einer solchen
Einladung widerstehen? Die Erwählte erhob sich und
fügte sich in die Kette ein, die sich wieder schloß.
Weiter entfernt wiederholte sich die gleiche Szene. Noch ein
Mädchen verließ seine Gefährtinnen. Bald
waren es an zehn Mädchen, die sich mit den
Rundschädeln vereinten, die fortfuhren, nach ihrem Brauch die
Schritte nach vorwärts, nach rückwärts und
übers Kreuz zu setzen. Allmählich entfernte sich die
Reihe der Tanzenden von den Zuschauern. Wollten sie einen Bogen
beschreiben, um wieder zur Mitte der Wiese zu gelangen? In Windungen,
wie eine Schlange, entfernten sie sich immer weiter, und wie sie in der
zunehmenden Dunkelheit den Wald entlang über die Abdachung des
Abhanges zogen, verschwanden sie dort ganz ...
    Ein einziger Schrei, in dem Überraschung und
Schrecken sich mengten, stieg zum Himmel. Schon waren die Leute vom
Fluß auf den Beinen. Wer hätte einen derartig
kühnen Streich voraussehen können? Sollte solcher
Schimpf ungestraft bleiben? Einige Männer wollten zu den
Hütten eilen, um ihre Waffen zu holen. Andere stimmten
dafür, daß man die Räuber augenblicklich
verfolge. Doch die Weiber warfen sich auf die Knie, umklammerten ihre
Füße und flehten sie an, nicht in den sicheren Tod
eines so ungleichen Kampfes zu gehen. Sie mühten sich, die
Männer zu beruhigen.
    »Unsere Töchter sind nicht
verloren«, meinten sie. »Sie bleiben ja hier, in
unserer Nähe ...« Und mehr als eine von ihnen
beneidete in ihrem tiefsten Herzen jene, die dort in den Wald
entführt worden waren, und deren glückliches Los
jetzt gesichert schien.
    Wer sollte zwischen den widersprechenden Parteien entscheiden?
Bei den Häuptlingen der drei Stämme, die sich am
»Stein der Qualen« zur Beratung vereinigt hatten,
drang die gemäßigte Auffassung durch.
    »Allerdings«, sprach Boro, »nahmen
seit langer Zeit die Leute vom Fluß allein an den
Hochzeitsspielen teil, aber nur deshalb, weil sie dieses Land ohne
Nachbarn bewohnten. Doch keine Vorschrift von allen Gesetzen der
Jagdvölker ermächtigt uns, Fremde von diesem Feste
auszuschließen, da doch die Mädchen Männer
ihres eigenen Stammes nicht heiraten dürfen und nach uraltem
Brauche zum Feste geführt werden, um geraubt zu werden.
Worüber also sollte man bei den Häuptlingen des
Volkes vom Hochtale Klage führen?«
    Doch dies waren nur die Gedanken der Alten, die jungen Leute
knirschten mit den Zähnen, da sie sehen mußten, wie
die schönsten Mädchen vor ihren Augen von den Fremden
geraubt wurden und, man muß es zugeben, nicht eine dieser
Verräterinnen Widerstand leistete. Der Abschluß der
Spiele war dadurch verdorben. Statt in einen

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