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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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das mutigere beider Tiere, das
Pferd aber war schneller und vielleicht auch begabter. Man
mußte nicht befürchten, daß es den
Bärensöhnen jemals an Mut mangeln würde,
aber es galt diese Schnelligkeit im Lauf zu bewahren, auf die sie stolz
waren. Auch hatte das Pferd einen sanfteren Charakter als das Rind, das
oft auch selbst den Menschen angriff. Aus all diesen Gründen
beschloß No, das Pferd mit einem Zauber zu umstricken.
    Das Unternehmen war schwierig, doch No fühlte sich
voll Vertrauen, da er sich der Nachtwache neben der Höhle des
Stammvaters erinnerte. Er sah das Land wieder vor sich, in das er
damals entrückt gewesen, er hörte noch die Stimme des
Weisen die geheimen Worte flüstern, durch die die Menschen die
Freundschaft der Tiere gewinnen. Dank dieser Worte würde er
Erfolg haben ...
    Zunächst wollte er einen Greis aufsuchen, der sich in
einer diesem Zwecke geweihten Höhle mit geheimnisvollen
Zeremonien, welche die Pferde betrafen, befaßte.
    An einem frischen Herbstmorgen brach er auf und folgte dem
Tale der heiligen Grotten. Als er an der zweiten dieser Grotten
vorübergekommen war, bog er nach links und trat in ein kleines
Tal, dessen Grund nichts als Sumpf war. Er fand einen schmalen Pfad
hindurch und gelangte bald längs des Fußes der
niederen Hügel zu der Wohnstätte, die er suchte.
    An den Felsenwänden waren seit undenklicher Zeit
Pferde in den verschiedensten Stellungen dargestellt. Eines davon in
der Mitte der Wand hob sich in natürlicher
Größe vom Felsen ab, derart, daß man beim
Eintritt, die Augen noch vom hellen Licht geblendet, im
Dämmern des überhängenden Felsblockes
glauben mußte, es sei im Begriffe, von dem
Näherkommenden überrascht, die Flucht zu ergreifen.
Keine andere Höhle, keine andere Wohnstätte, zeigte
ein so naturgetreues Bild, und als No, obwohl er es doch kannte, an
diesem Morgen darauf zuschritt, erstaunte er auch diesmal wieder, das
Pferd, als ob es ihn erwartete, seinen Platz nicht verlassen zu sehen.
Er nahm dies als ein günstiges Vorzeichen und erfreute sich
daran. Er begriff auch, weshalb die Zauberkräfte der Leute vom
Flusse nicht mehr denen ihrer Ahnen gleichkamen, da doch keiner jetzt
mehr imstande war, ein Pferd in den Felsen zu hauen, das wie dieses
denen so sehr glich, die sich am Morgen auf den Wiesen tummelten.
    Ein Greis wohnte hier, Sohn und Enkel von Männern,
die hier vor Zeiten gehaust hatten, und Bewahrer ihrer Weisheit. Er
entfernte sich nur aus seiner Wohnstätte, wenn er
Kräuter sammeln wollte, deren wundersame Kräfte ihm
allein bekannt waren. Die Jäger kamen, ihn aufzusuchen, bevor
sie ein Rudel verfolgten, und wenn sie dank seiner Ratschläge
erfolgreich heimkehrten, brachten sie ihm ein Stück Fleisch.
    Ohne seine Pläne zu enthüllen, die wohl
nicht verstanden worden wären, beschränkte No sich
darauf, ihn um ein Zaubermittel zu bitten, mit dem er ein Pferd sich
wohlgesinnt machen könnte.
    Der Greis, der nahe dem Feuer hockte, erwiderte nichts und
blieb in ferne Gedanken versunken, die Augen auf die Glut gerichtet.
Dann betrachtete er No, als suche er einen besonderen Sinn hinter den
Worten, die dieser gesprochen hatte. No wiederholte seine Bitte.
    Der Greis seufzte. Er erhob sich mühsam und
verschwand in seiner Hütte. Nach einigen Augenblicken kam er
mit einem Gras zurück, das No nicht kannte. Er spuckte darauf,
rollte es in seinen Händen, damit der Speichel eindringe, dann
trat er zu dem Pferde und hielt es ihm hin, während er ihm mit
der Hand weich über den Hals strich. Nachdem er dies getan
hatte, wandte er sich zu No und gab ihm den Grasknäuel, ohne
ein Wort hinzuzufügen.
    No ging nach Hause. –
    Noch vor Sonnenaufgang machte er sich am nächsten
Tage auf den Weg. Erregt von seinem großen Vorhaben, hatte er
nachts kaum geschlafen. Trotz der Schwierigkeit, allein auf die Jagd zu
gehen, hatte er sich keinen Gefährten mitgenommen. Seine
Absicht war, ein von der Herde getrenntes Fohlen zu
überraschen, ihm die Beine zu binden und dann seinen Zauber
wirken zu lassen.
    Erst nachmittags sah er, in großer Entfernung, in der
Nähe eines Waldes das Rudel, von dessen Anwesenheit er
Kenntnis hatte. Langsam, unter Beobachtung der
größten Vorsichtsmaßregeln, gelang es ihm,
bis in die unmittelbarste Nähe der Tiere zu kommen, die ruhig
grasten. Ein Fohlen von etwa achtzehn Monaten hatte sich von der Herde
entfernt und rieb sich eben an einem Felsblock

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