Ende (German Edition)
ihrer Turnschuhe. Sie kommt nicht von der Stelle, kann das Pedal nicht treten, läuft sogar Gefahr umzukippen.
Ginés hebt die Arme – die Windhunde, die das umfallende Fahrrad in die Flucht geschlagen hat, sind wieder da, umringen ihn, recken gierig die Köpfe nach ihrer Beute –, holt das Sandwich aus der Verpackung und wirft es so weit wie möglich gegen die Fahrtrichtung.
«Jetzt!», ruft er und stemmt sich mit vollem Gewicht aufs Pedal.
In die Meute kommt Bewegung, die Leiber drehen sich um hundertachtzig Grad, hin zu der Stelle, wo der begehrte Happen gelandet ist. Die drei Radfahrer nutzen die Chance und strampeln, so schnell sie können, Richtung Ausfahrt. Einige der hinteren Windhunde bemerken die Flucht, drehen sich zu María um, schnappen nach ihren Füßen. Eines der Tiere läuft mit kreisenden Kopfbewegungen neben dem Fahrrad her, weil sich seine Zähne in Marías Schnürsenkel verfangen haben. Die anderen versuchen, den von der kurzen Fahrradhose nicht bedeckten Teil der Beine zu erwischen.
María stößt einen verzweifelten, animalischen Schrei aus, der Ginés und Amparo in die Glieder fährt, aber die Tiere in die Flucht schlägt.
Jetzt rollen die Räder. Eine glückliche Fügung will, dass die Straße bergab führt, der Hauptstadt entgegen. Immer schneller rollen sie, die Beine helfen mit, treten mit voller Kraft. Keiner traut sich zurückzuschauen. «Alles okay?», will Ginés schwer atmend von María wissen. «Bist du gebissen worden?» Immer wieder fragt er es, bis María, ohne mit dem Treten aufzuhören, ihr rätselhaftes Schweigen bricht und wütend zischt:
«Mir geht’s gut! Halt die Klappe und fahr!»
E inige Kilometer lang fahren sie, so schnell sie können. Sie müssen sich nicht verständigen, sie wissen auch so, dass es jetzt nur um eines geht: weit weg von der Tankstelle zu kommen. Zehn Minuten vergehen, gerade haben sie eine langgezogene Steigung gemeistert, erreichen eine Kuppe. Vor ihnen liegt verheißungsvoll eine Abfahrt. Doch bevor die Räder richtig ins Rollen kommen, bremst María abrupt und stellt einen Fuß ab.
«Eins von den Biestern hat mich doch erwischt», sagt sie.
Sie rutscht vom Sattel und betrachtet ihre rechte Wade, auf der eine kleine Wunde zu sehen ist, ein roter Punkt, aus dem es blutet. Ginés steigt hastig vom Rad, lässt es umkippen und kniet vor María hin, um die Verletzung zu begutachten.
«Scheint nicht sehr tief zu sein.» Ginés nimmt den Kopf zurück und kneift die Augen zusammen, während er die Stelle um die Wunde herum abtastet. «Offenbar hat er dich mit den Eckzähnen erwischt, es sind nämlich zwei Abdrücke zu sehen, nur dass einer davon nicht blutet. Tut’s weh, wenn du fährst?»
«Nein. Es brennt ein bisschen.»
«Der Muskel scheint heil zu sein.»
«Ist nur ein Kratzer.» María wedelt mit der Hand, wie um eine Fliege zu verscheuchen. «Ein bisschen Wasserstoffperoxyd, ein bisschen Jod, dann geht’s schon wieder.»
«Hol mal den Verbandskasten», fordert Ginés Amparo auf. «Gut, dass wir ihn mitgenommen haben.»
«Mach schon», drängt er, als Amparo sich nicht rührt. «Er ist in der Satteltasche!»
Doch Amparo bleibt, wo sie ist, starrt María an, ihre Wunde, bestürzt, angewidert.
«Und wenn er Tollwut hatte?», fragt sie, ohne ihren Blick auch nur um einen Millimeter abzuwenden.
Ginés wirft Amparo einen tadelnden Blick zu, steht auf, um den Verbandskasten selbst zu holen.
«Das waren keine wilden Hunde, das waren Renntiere», erklärt er, während er in der Satteltasche kramt. «Und Renntiere werden gut gepflegt, ja geradezu verhätschelt. Ich gehe davon aus, dass sie gegen alle möglichen Krankheiten geimpft waren. Aber wenn du darauf bestehst, können wir gern eine Apotheke suchen und …»
Ginés kniet wieder vor María hin, öffnet den Verbandskasten und holt ein gelbes Fläschchen und eine plastikverpackte Gazerolle hervor.
«Lass mich das selber machen», sagt María.
Sie bückt sich und nimmt das gelbe Fläschchen, schraubt den Deckel ab, schaut mürrisch und versucht den inneren Verschluss mit den Zähnen abzureißen.
«Verdammt!», flucht sie nach mehreren vergeblichen Versuchen.
Ginés hat inzwischen ein Impfmesser aus dem Verbandskasten geholt. Er nimmt María das Fläschchen aus der Hand und schneidet den Plastikverschluss ab. Dann tröpfelt er vorsichtig Wasserstoffperoxyd auf die Wunde und tupft sie vorsichtig mit einem Wattebausch ab.
«Du musst ordentlich was draufschütten», meckert
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