Ender 4: Enders Kinder
daß er ihn freiwillig aufgibt. Und es mußte wirklich freiwillig geschehen – ohne Druck, ohne Schuldgefühle, ohne Überredung –, da es keine Entscheidung war, die sich bewußt treffen ließ. Ender hatte sich entschieden, daß er an Mutters Leben im Kloster teilhaben wollte, aber sein Unterbewußtsein interessierte sich viel mehr für das Übersetzungsprojekt hier und für das, was Peter im Augenblick trieb. Seine unbewußte Wahl spiegelte seinen tatsächlichen Willen wider. Wenn Ender Val losläßt, dann muß es sein Verlangen sein, es zu tun, ein Verlangen, das aus seinem tiefsten Innern entspringt. Keine Entscheidung aus Pflichtgefühl wie die Entscheidung, bei Mutter zu bleiben. Eine Entscheidung, weil es das ist, was er wirklich will.
Miro sah Val an, sah die Schönheit, die mehr aus tiefer Güte als aus ebenmäßigen Gesichtszügen entsprang. Er liebte sie, aber war es ihre Vollkommenheit, die er liebte? Jene vollkommene Tugendhaftigkeit mochte das einzige sein, was es ihr gestattete – es Ender in seinem Valentine-Modus gestattete –, bereitwillig loszulassen und Jane hereinzubitten. Aber sobald Jane erst einmal kam, würde die vollkommene Tugendhaftigkeit doch verschwunden sein, oder nicht? Jane war mächtig und, so glaubte Miro, gut – sicherlich war sie gut zu ihm gewesen, eine wahre Freundin. Aber selbst in seinen wildesten Phantasien konnte er sie sich nicht als vollkommen tugendhaft vorstellen. Wenn sie anfing, Vals Körper zu tragen, würde sie dann noch Val sein? Die Erinnerungen würden bleiben, aber der Wille hinter dem Gesicht würde komplizierter sein als das simple Skript, das Ender für sie entworfen hatte. Werde ich sie immer noch lieben, wenn sie Jane ist?
Warum eigentlich nicht? Immerhin liebe ich Jane doch auch, oder?
Aber werde ich Jane lieben, wenn sie Fleisch und Blut ist und nicht bloß eine Stimme in meinem Ohr? Werde ich in diese Augen blicken und um die verlorene Valentine trauern?
Warum hatte ich diese Zweifel vorher nicht? Ich habe selbst versucht, das zuwege zu bringen, damals, bevor ich auch nur halbwegs erfaßte, wie schwierig es ist. Und doch, jetzt, wo es nur die Spur einer Hoffnung ist, stelle ich fest, daß ich – was, mir wünsche, daß es nicht geschähe? Wohl kaum. Ich will nicht hier draußen sterben. Ich will, daß Jane wiederhergestellt wird, aber ich will auch, daß Val unverändert bleibt.
Ich will, daß alle schlimmen Dinge verschwinden und daß alle glücklich sind. Ich will meine Mami. Zu was für einer Art von kindischem Idioten bin ich eigentlich geworden? Auch Val sah ihn an, merkte er plötzlich. »Hallo«, sagte er. Auch die anderen sahen ihn an. Sahen zwischen ihm und Val hin und her. »Worüber stimmen wir alle da gerade eigentlich ab? Ob ich mir einen Bart stehen lassen soll?«
»Wir stimmen über gar nichts ab«, sagte Quara. »Ich bin bloß deprimiert. Ich meine, ich habe gewußt, was ich tat, als ich dieses Schiff bestieg, aber verdammt nochmal , es ist wirklich schwierig, sich dafür zu begeistern, an der Sprache dieser Leute zu arbeiten, wenn ich mein Leben am Anzeiger der Sauerstofftanks abmessen kann.«
»Ich bemerke«, sagte Ela trocken, »daß du die Descoladores jetzt schon als ›Leute‹ bezeichnest.«
»Sollte ich das nicht? Wissen wir auch nur, wie sie aussehen?« Quara schien verwirrt. »Ich meine, sie haben eine Sprache, sie –«
»Um das zu entscheiden, sind wir ja hier, oder?« sagte Feuerlöscher. »Ob die Descoladores Ramänner oder Varelse sind. Das Übersetzungsproblem ist nur ein kleiner Schritt auf dem Weg dorthin.«
»Ein großer Schritt«, verbesserte Ela. »Und wir haben nicht genügend Zeit, um ihn zu tun.«
»Da wir nicht wissen, wie lange es in Anspruch nehmen wird«, sagte Quara, »weiß ich nicht, wie du dir dessen so sicher sein kannst.«
»Ich kann mir nicht völlig sicher sein«, sagte Ela. »Weil wir nichts tun, als herumzusitzen und zu reden und zuzuschauen, wie Miro und Val einander schmachtende Blicke zuwerfen. Es ist kein Genie nötig, um zu wissen, daß unsere Fortschritte, bevor uns der Sauerstoff ausgeht, bei diesem Tempo exakt null sein werden.«
»Mit anderen Worten«, sagte Quara, »sollten wir aufhören, Zeit zu verschwenden.« Sie wandte sich wieder den Notizen und Ausdrucken zu, an denen sie arbeitete.
»Aber wir verschwenden doch gar keine Zeit«, sagte Val leise.
»Nein?« fragte Ela.
»Ich warte darauf, daß Miro mir erklärt, wie einfach es doch ist, Jane wieder in Kommunikation
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