Ender 4: Enders Kinder
und mit Mensch gesprochen und herauszufinden versucht, wie man das macht – ein Aiúa einem Körper zuzuweisen. Die Schwarmköniginnen haben es einmal getan, als sie mich schufen. Aber sie haben dazu nicht direkt ein spezielles Aiúa ausgewählt. Sie nahmen, was gerade kam. Was auftauchte. Ich bin da ein bißchen wählerischer.«
Miro sagte nichts, während er zum Klostertor ging.
»Ach ja, und dann ist da noch die Frage deiner Gefühle für die junge Val. Du verabscheust die Tatsache, daß es, wenn du sie liebst, in Wirklichkeit in gewisser Weise Ender ist, den du liebst. Aber wenn ich übernähme, wenn ich der Wille wäre, der das Leben der jungen Val beseelt, wäre sie dann noch die Frau, die du liebst?
Würde irgend etwas von ihr weiterexistieren? Wäre es Mord?«
»Ach, halt die Klappe«, sagte Miro laut.
Die Klosterpförtnerin blickte überrascht zu ihm auf.
»Nicht Sie«, sagte Miro. »Aber das soll nicht heißen, daß es keine gute Idee wäre.«
Miro war sich ihrer Augen in seinem Rücken bewußt, bis er draußen und auf dem Pfad war, der sich den Hügel hinunter in Richtung Milagre schlängelte. Höchste Zeit, zum Schiff zurückzukehren. Val wird schon auf mich warten. Wer immer sie ist.
Was Ender für Mutter bedeutet, so loyal, so geduldig – ist es das, wie ich Val gegenüber empfinde? Oder, nein, es ist kein Gefühl, nicht wahr? Es ist ein Willensakt. Es ist eine Entscheidung, die sich niemals rückgängig machen läßt. Könnte ich das für eine Frau tun, für irgendeine Person? Könnte ich mich für immer wegschenken?
Dann erinnerte er sich Ouandas und ging mit der Erinnerung an seinen bitteren Verlust den ganzen Weg zum Sternenschiff zurück.
Kapitel 4
›Ich bin ein Mann von vollkommener Einfachheit‹
Als ich ein Kind war, dachte ich immer,
ein Gott sei enttäuscht,
wenn irgendeine Ablenkung mich dabei unterbrach,
die Linien zu verfolgen,
die die Maserung des Holzes offenbarte.
Jetzt weiß ich, daß die Götter solche Unterbrechungen erwarten,
denn sie kennen unsere Schwächen.
Vollendung ist es, was sie überrascht.
aus Der Gott flüstert von Han Qing-jao
Am zweiten Tag wagten sich Peter und Wang-mu in die Welt Götterwind hinaus. Darüber, eine Sprache zu erlernen, brauchten sie sich keine Gedanken zu machen. Götterwind war eine ältere Welt, eine aus der ersten Besiedlungswelle während der ursprünglichen Auswanderung von der Erde. Anfangs war sie so rückwärtsgewandt wie Weg gewesen und hatte an den alten Sitten und Gebräuchen festgehalten. Aber die uralten Sitten und Gebräuche Götterwinds waren japanisch, und darum schlossen sie die Möglichkeit radikaler Veränderungen ein. Nach kaum dreihundert Jahren ihrer Geschichte hatte sich die Welt vom isolierten Lehen eines ritualisierten Shogunats in ein kosmopolitisches Zentrum für Handel, Industrie und Philosophie verwandelt. Die Japaner von Götterwind waren stolz darauf, Gastgeber für Besucher von allen Welten zu sein, und es gab immer noch viele Orte, an denen Kinder nur japanischsprachig aufwuchsen, bis sie alt genug zum Besuch einer Schule waren. Als Erwachsene indes sprachen alle Bewohner Götterwinds fließend Stark, und die fähigsten unter ihnen voller Eleganz, voller Anmut und mit erstaunlicher Ökonomie; in seinem berühmtesten Buch, Beobachtungen mit bloßem Auge auf fernen Welten, hatte Mil Fiorelli gesagt, Stark sei eine Sprache, die keine Muttersprachler besitze, es sei denn, sie werde von einem Götterwindler geflüstert.
So kam es, daß, als Peter und Wang-mu durch die Wälder des großen Naturparks wanderten, in dem ihr Raumschiff gelandet war, und in einem Waldbewohnerdorf ankamen, lachend darüber, wie lange sie in den Wäldern »verirrt« gewesen waren, niemand lange über Wang-mus eindeutig chinesische Gesichtszüge und ihren Akzent oder sogar über Peters weiße Haut und die fehlende Lidfalte nachdachte. Sie gaben an, ihre Ausweise verloren zu haben, aber eine Computersuche zeigte, daß sie in der Stadt Nagoya als Führerscheininhaber registriert waren, und obwohl Peter dort in seiner Jugend anscheinend eine Reihe von Verkehrsverstößen begangen hatte, war ansonsten nicht von ihnen bekannt, daß sie sich irgendwelche Gesetzwidrigkeiten hätten zuschulden kommen lassen. Peters Beruf war als »freiberuflicher Naturkundelehrer« und der Wang-mus als »Wanderphilosophin« angegeben, beides in Anbetracht ihrer Jugend und des Fehlens familiärer Bindungen durchaus ehrenwerte Positionen. Als
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