Ender 4: Enders Kinder
nächste Reise in ein anderes Sternensystem antreten, aber sie würden nie wieder in derselben Welt sein, und es war zu schmerzhaft, um es zu ertragen, das Wissen tat ihm weh, aber der Schmerz ging zu tief, als daß er ihn jetzt hätte erreichen oder auch nur spüren können. Er war da, und Miro wußte, daß er in den kommenden Jahren an ihm nagen würde, aber jetzt konnte er nicht daran rühren. Er mußte seine Gefühle nicht erforschen. Er hatte sie schon früher verspürt, als er Ouanda verloren hatte, als sein Traum eines gemeinsamen Lebens mit ihr unmöglich geworden war. Er konnte den Schmerz nicht berühren, konnte ihn nicht heilen, konnte sich nicht einmal über das grämen, von dem er gerade eben erst entdeckt hatte, daß er es wollte und daß er einmal mehr nicht haben konnte.
»Der leidende Heilige«, sagte Jane in seinem Ohr.
»Halt die Klappe und verzieh dich«, subvokalisierte Miro.
»Das klingt nicht wie ein Mann, der mein Liebhaber sein möchte«, sagte Jane.
»Ich möchte nicht dein Irgendwas sein«, sagte Miro. »Du vertraust mir nicht einmal genug, um mir zu verraten, was du bei unserer Weltensuche im Schilde führst.«
»Du hast mir auch nicht erzählst, was du im Schilde führtest, als du zur Schwarmkönigin gegangen bist.«
»Du wußtest doch, was ich vorhatte«, sagte Miro.
»Nein«, sagte Jane. »Ich bin sehr klug – viel klüger als du oder Ender, und das solltest du besser nicht einen Augenblick lang vergessen –, aber ich kann euch Fleischklöpse mit euren vielgerühmten ›intuitiven Sprüngen‹ immer noch nicht durchschauen. Ich mag es, wie ihr aus eurer fürchterlichen Unwissenheit eine Tugend macht. Ihr handelt immer irrational, weil ihr nicht über genügend Informationen für ein rationales Handeln verfügt. Aber es geht mir doch gegen den Strich, wenn ihr sagt, ich sei irrational. Das bin ich nie. Nie.«
»Damit wirst du schon recht haben«, sagte Miro lautlos. »Du hast ja in allem recht. Wie immer. Zieh Leine.«
»Bin schon weg.«
»Nein, bist du nicht«, sagte Miro. »Nicht, bis du mir verraten hast, was Vals und meine Reisen in Wirklichkeit für einen Sinn hatten. Die Schwarmkönigin sagte, kolonisierbare Welten seien nur eine spätere Überlegung gewesen.«
»Unsinn«, sagte Jane. »Wir benötigten mehr als eine Welt, wenn wir sicher sein wollten, die beiden nichtmenschlichen Spezies zu retten. Redundanz.«
»Aber du hast uns immer wieder losgeschickt.«
»Interessant, nicht wahr?« sagte Jane.
»Sie sagte, du beschäftigtest dich mit einer größeren Bedrohung als der Lusitania-Flotte.«
»Was sie immer so daherschwatzt.«
»Verrate es mir«, sagte Miro.
»Wenn ich es dir verrate«, sagte Jane, »gehst du vielleicht nicht mehr.«
»Glaubst du, daß ich so ein Hasenfuß bin?«
»Aber ganz und gar nicht, tapferer Junge, mein kühner und gutaussehender Held.«
Er haßte es, wenn sie ihn mit gönnerhafter Herablassung behandelte, selbst wenn es nur ein Scherz war. Im Augenblick war er sowieso nicht zu Scherzen aufgelegt.
»Warum glaubst du dann, ich würde nicht gehen?«
»Du würdest nicht glauben, daß du der Aufgabe gewachsen bist«, sagte Jane.
»Bin ich’s?« fragte Miro.
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Jane. »Aber andererseits hast du ja mich dabei.«
»Und was ist, wenn du plötzlich nicht mehr da bist?« fragte Miro.
»Tja, das ist ganz einfach ein Risiko, das wir eingehen müssen.«
»Verrate mir, was wir machen. Verrate mir unsere eigentliche Mission.«
»Ach, sei nicht albern. Wenn du darüber nachdenkst, kommst du von selbst drauf.«
»Ich mag keine Rätsel, Jane. Verrate es mir.«
»Frag Val. Sie weiß es.«
»Was?«
»Sie sucht bereits nach genau den Daten, die ich benötige. Sie weiß es.«
»Dann heißt das, daß auch Ender es weiß. Auf irgendeiner Ebene«, sagte Miro.
»Ich habe den Verdacht, daß du recht hast, obwohl Ender nicht mehr so schrecklich interessant für mich ist und es mir ziemlich egal ist, was er weiß.«
Ja, du bist so rational, Jane.
Aus alter Gewohnheit mußte er diesen Gedanken subvokalisiert haben, weil sie ihm genau so darauf antwortete wie auf seine gezielten Subvokalisationen. »Du sagst das ironisch«, sagte sie, »weil du denkst, ich würde bloß sagen, daß Ender mich nicht interessiert, weil ich mich vor meinen verletzten Gefühlen schütze, weil er sein Juwel aus dem Ohr genommen hat. Aber tatsächlich ist er keine Datenquelle mehr, und er ist auch nicht länger ein mitwirkender Teil der Arbeit,
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