Ender 4: Enders Kinder
ruinierten Baldachin, und er wurde hinter ihnen zu einem Freudenfeuer, während sie Malu hinunter zum Kanu folgten. Gerade als sie das Wasser erreichten, war Grace endlich mit der Übersetzung fertig. Malu stieg in das Kanu und ließ sich mit unerschütterlicher Würde auf dem Sitz mittschiffs nieder, während die Ruderer, gleichfalls würdevoll, ihre Plätze neben dem Boot einnahmen, es hochhoben, ins Wasser schleppten und es hinaus in die donnernde Brandung stießen und dann ihre riesigen Leiber über die Bordwand schwangen und mit so gewaltiger Kraft zu rudern begannen, daß es war, als ob große Bäume, nicht Ruder, in Fels, nicht in Meer, eintauchten und es aufwühlten, damit es vorwärtsschnellte, fort vom Strand, hinaus ins Wasser, auf die Insel Atatua zu.
»Grace«, sagte Peter. »Wie konnte er Dinge wissen, die nicht einmal von den empfindlichsten und leistungsfähigsten wissenschaftlichen Instrumenten wahrgenommen werden können?«
Aber Grace konnte nicht antworten, denn sie lag lang ausgestreckt im Sand und weinte und weinte, die Arme zum Meer hin ausgestreckt, als sei ihr liebstes Kind soeben von einem Hai geholt worden. Alle Männer und Frauen dieser Insel lagen im Sand, die Arme meerwärts gerichtet; sie alle weinten.
Dann kniete Peter nieder; dann legte sich Peter in den Sand und streckte die Arme aus, und vielleicht weinte er sogar. Wang-mu konnte es nicht sehen.
Nur Wang-mu blieb stehen und dachte: Warum bin ich hier, wo ich doch kein Teil von irgendeinem dieser Ereignisse bin, da in mir nichts von irgendeinem Gott und nichts von Andrew Wiggin ist? Und zugleich dachte sie auch: Wie kann ich mir zu einem solchen Zeitpunkt, da ich die Stimme eines Mannes gehört habe, der in den Himmel blickt, Gedanken wegen meiner eigenen egoistischen Einsamkeit machen?
Tiefer in ihrem Innern aber wußte sie noch etwas anderes: Ich bin hier, weil ich diejenige bin, die Peter so sehr lieben muß, daß er sich würdig fühlen kann. Würdig genug, daß er es erträgt, die Güte der jungen Valentine in sich einströmen zu lassen, auf daß er ganz werde, auf daß er Ender werde. Nicht Ender, der Xenozide, und Andrew, der Sprecher für die Toten, Schuld und Mitleid vermischt in einem einzigen zerschmetterten, zerbrochenen, nicht zu heilenden Herzen, sondern Ender Wiggin, der vierjährige Junge, dessen Leben verkorkst und zerbrochen worden war, als er zu jung war, um sich dagegen zu wehren. Wang-mu war diejenige, die Peter die Erlaubnis erteilen konnte, der Mann zu werden, zu dem jenes Kind hätte heranwachsen sollen, wäre die Welt gut gewesen.
Woher weiß ich das? dachte Wang-mu. Wie kann ich mir so sicher sein, was von mir erwartet wird?
Ich weiß es, weil es offensichtlich ist, dachte sie. Ich weiß es, weil ich gesehen habe, wie meine geliebte Herrin Han Qing-jao von Stolz zerstört wurde, und ich darum tun werde, was immer erforderlich ist, um Peter davon abzuhalten, sich durch Stolz auf seine eigene böse Unwürdigkeit zu zerstören. Ich weiß es, weil auch ich als Kind zerbrochen und gezwungen wurde, ein böses, Intrigen schmiedendes Ungeheuer zu werden, um das zerbrechliche, nach Liebe hungernde Mädchen zu schützen, das von dem Leben, das ich führen mußte, zerstört worden wäre. Ich weiß, wie es ist, sein eigener Feind zu sein, und doch habe ich das hinter mir gelassen und bin darüber hinausgegangen, und nun kann ich Peter bei der Hand nehmen und ihm den Weg zeigen.
Nur, daß ich den Weg nicht kenne, und ich immer noch zerbrochen bin, und das nach Liebe hungernde Mädchen immer noch verängstigt und zerbrechlich ist, und das starke und böse Ungeheuer immer noch mein Leben beherrscht, und Jane sterben wird, weil ich nichts habe, was ich Peter geben könnte. Er muß vom Kava trinken, und ich bin nur einfaches Wasser. Nein, ich bin Seewasser, in dem am Uferrand der Sand wirbelt, Seewasser, das voller Salz ist; er wird von mir trinken und sich vor Durst umbringen.
Und so kam es, daß sie sich dabei ertappte, wie sie ebenfalls weinte, ebenfalls auf dem Sand ausgestreckt, mit den Händen nach dem Meer greifend, nach dem Ort, von dem Malus Kanu fortgeschnellt war wie ein Sternenschiff, das ins All hinaussprang.
Die alte Valentine starrte auf das holografische Display ihres Computerterminals, auf dem die Samoaner, alle im Westentaschenformat, weinend auf dem Strand lagen. Sie starrte darauf, bis ihre Augen brannten, und dann endlich sprach sie. »Schalte es ab, Jane«, sagte sie.
Das Display
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